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Kritik an der Preissockel-Theorie des Bundesgerichtshofes zu § 315 BGB                             
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Übersicht

0. Überblick

1. Entwicklung der Preissockel-Theorie zu § 315 BGB am VIII. Zivilsenat des BGH

1.1 Strompreis-Urteil VIII ZR 144/06 vom 28.3.2007

1.2 Gaspreis-Urteil VIII ZR 36/06 vom 13.6.2007

1.3 Gaspreis-Urteil VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008

2. Alternative höchstrichterliche Rechtsprechung

2.1 Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats

2.1.1 VIII ZR 111/02 vom 5.2.2003 ohne Aufspaltung des Gesamtpreises

2.1.2 VIII ZR 279/02 vom 30.4.2003 zu konkludentem Vertragsabschluss

2.1.3 VIII ZR 66/04 vom 26.1.2005 zur Preisbindung bei Vertragsabschluss

2.1.4 VIII ZR 199/04 vom 20.7.2005 zur stillschweigenden Zustimmung

2.1.5 VIII ZR 265/07 vom 11.11.2008 zur Anerkenntnis durch vorbehaltlose Zahlung

2.1.6 VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008 zu Komponenten des Preissockels

2.1.7 VIII ZR 225/07 vom 15.7.2009 zur Preissenkungspflicht

2.1.8 VIII ZR 56/08 vom 15.7.2009 zur Preissenkungspflicht

2.2 Rechtsprechung des Kartellsenats

2.2.1 KZR 36/04 vom 18.10.2005 zu Stromnetznutzungsentgelten

2.2.2 KZR 29/06 vom 4.3.2008 zu Stromnetznutzungsentgelten

2.2.3 KZR 2/07 vom 29.4.2008 zu Erdgassonderverträgen

2.3 Rechtsprechung anderer BGH-Senate

2.3.1 III ZR 195/84 vom 6.3.1986 zu Zinsanpassungsklausel

2.3.2 III ZR 287/97 vom 2.7.1998 zur Tarifreform 1996 der Deutschen Telekom

2.3.3 VII ZR 165/05 vom 11.1.2007 zu Werklohn für Außenanlagen

2.3.4 XI ZR 55/08 und XI ZR 78/08 vom 21.4.2009 zu Preisklauseln von Sparkassen

3. Wortlaut und Zweck des § 315 BGB

3.1 Wortlaut

3.2 Historie und Motive des Gesetzgebers

3.3 Umgehungsverbot

3.4 Festsetzung und Veröffentlichung von Gesamtpreisen

3.5 Keine Tarifvereinbarung

3.6 energie-, kartell- und kommunalrechtliche Vorgaben

3.6.1 Preisgünstigkeit aus § 1 EnWG und § 2 EnWG

3.6.2 Preismissbrauch aus § 19 GWB und § 29 GWB

3.6.3 kommunalrechtliche Vorschriften

4. Logische Widersprüche

4.1 Relativität des Billigkeitsbegriffes

4.2 kundenindividuelles Äquivalenzverhältnis

4.3 Unbilligkeit bei sinkenden Gesamtkosten

4.4 Verbot einer „Preispumpe“

5. Mögliche Motive für Auslegung durch VIII. Zivilsenat

5.1 Zeitpunkte und betroffene Branchen der strittigen Rechtsprechung

5.2 Vortragstätigkeit von Wolfgang Ball

Quellen

 


 

0. Überblick

 

Im Zusammenhang mit stark gestiegenen Energiepreisen ist in den letzten Jahren der § 315 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in den Mittelpunkt gerichtlicher Auseinandersetzungen gerückt. Als Energieversorger ab etwa 2004 ihre Preise zum Teil drastisch erhöhten, widersprachen zahlreiche Energieverbraucher den Preiserhöhungen, oft mit Musterbriefen der Verbraucherverbände. Die Verbraucher wandten gegenüber ihren Energieversorgern die Unbilligkeit der Preiserhöhungen nach § 315 BGB ein und verweigerten die Zahlung der Preiserhöhungen. Im Extremfall stellten einzelne Verbraucher ihre Zahlungen sogar ganz ein, weil sie die Gesamtpreise für unbillig hielten.

 

Die Streitigkeiten um Energiepreise gelangten vor Gericht und schließlich auch zum Bundesgerichtshof (BGH). Soweit der VIII. Zivilsenat des BGH an der Rechtsprechung beteiligt ist, lässt sich seit einigen Jahren eine bedenkliche Entfernung von Recht und Gesetz beobachten. Insbesondere entwickelte der VIII. Zivilsenat des BGH für Energiepreise in den Jahren 2007 und 2008 mit drei viel zitierten Leitsatz-Entscheidungen die so genannte Preissockel-Theorie zu § 315 BGB. Demnach unterliegen nicht die Gesamtpreise für Strom oder Gas der Billigkeitsprüfung, sondern nur die Preiserhöhungen, gegen die Verbraucher in angemessener Frist Widerspruch eingelegt haben. Der Preissockel ist der bei Vertragsabschluss gültige Preis bzw. der Preis, der vom Verbraucher ohne Widerspruch bei der Jahresabrechnung ohne Beanstandung gezahlt wurde. Nach der Preissockel-Theorie ist der Preissockel einer Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB entzogen.

 

In Kapitel 1 werden die drei Urteile vom VIII. Zivilsenat des BGH vorgestellt, die der Preissockel-Theorie zu Grunde liegen. Kapitel 2 vergleicht die Aussagen der Preissockel-Theorie mit zahlreichen anderen BGH-Urteilen zu § 315 BGB, und zwar sowohl mit Entscheidungen des VIII. Zivilsenats als auch mit Entscheidungen des Kartellsenats und anderer BGH-Senate. In Kapitel 3 wird geprüft, ob Wortlaut und Zweck von § 315 BGB die Preissockel-Theorie stützen und ob andere gesetzliche Vorgaben nicht zwingend erfordern, den Gesamtpreis inklusive Preissockel auf Billigkeit zu prüfen. Kapitel 4 zeigt mit konkreten Beispielen, wie aus der Preissockel-Theorie zahlreiche logische Widersprüche entstehen. Schließlich fragt Kapitel 5 nach möglichen Motiven für die willkürlich erscheinende Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats.

 

 

 


 

1. Entwicklung der Preissockel-Theorie zu § 315 BGB am VIII. Zivilsenat des BGH

 

Im Folgenden soll nachgezeichnet werden, wie der VIII. Zivilsenat des BGH die Preissockel-Theorie in den Jahren 2007 und 2008 mit drei Leitsatz-Entscheidungen entwickelt hat. Denn bei der Preissockel-Theorie handelt es sich inzwischen um eine gefestigte höchstrichterliche Rechtssprechung, die von den unteren Gerichtsinstanzen häufig kritiklos übernommen wird.

 

 

1.1 Strompreis-Urteil VIII ZR 144/06 vom 28.3.2007

Im Verfahren VIII ZR 144/06 vom 28.3.2007 ging es um Strompreise zwischen einem Privatkunden und dem Versorger E.ON edis AG in Bergholz-Rehbrücke bei Potsdam. Klägerin war die E.ON edis AG, der Verbraucher war der Beklagte, die Stromentgelte betrafen einen Sondervertrag. Der erste Leitsatz des BGH-Urteils VIII ZR 144/06 bezieht sich jedoch auf alle Arten der Stromversorgung, also auf die Tarifkunden in der Grundversorgung wie auch auf Sonderverträge, d. h. es handelt sich um ein „obiter dictum“. Ein obiter dictum (lat. „nebenbei Gesagtes“) ist eine in einer Entscheidung eines Gerichtes geäußerte Rechtsansicht, die die gefällte Entscheidung nicht trägt, sondern nur geäußert wurde, weil sich die Gelegenheit dazu bot. Der 1. Leitsatz des Urteils vom 28.3.2007 lautet:

 

§ 315 BGB findet auf den anfänglich vereinbarten Strompreis auch dann keine unmittelbare Anwendung, wenn der Vertrag keine betragsmäßige Festlegung des geltenden Tarifs enthält, sondern sich die Preise für die Stromlieferungen aus den jeweiligen allgemeinen Tarifen für die Versorgung mit Elektrizität in Niederspannung ergeben (Abgrenzung zu BGHZ 164, 336 ff.).

 

In der Urteilsbegründung heißt es in Randnummer 13:

Denn selbst wenn es sich bei dem Tarif "local plus" um den zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden Allgemeinen Tarif handeln sollte (§ 10 Abs. 1 EnWG 1998, § 4 Abs. 1 AVBEltV), wäre für eine Billigkeitsüberprüfung gemäß § 315 Abs. 3 BGB mangels einer einseitigen Leistungsbestimmung von vornherein kein Raum. Kommt zwischen dem Stromlieferungsunternehmen und dem Kunden - ob ausdrücklich oder konkludent durch Entnahme von Elektrizität aus einem Verteilungsnetz eines Versorgungsunternehmens (vgl. RGZ 111, 310, 312; BGHZ 115, 311, 314; Senatsurteil vom 30. April 2003 – VIII ZR 279/02, NJW 2003, 3131, unter II 1 a m.w.N.) - ein Stromlieferungsvertrag zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen zustande, so ist der von dem Kunden zu zahlende Preis durch den zuvor von dem Stromversorgungsunternehmen gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 EnWG 1998 veröffentlichten Tarif eindeutig bestimmt und als solcher mit dem Abschluss des Vertrags zwischen den Parteien vereinbart.

 

Die Abgrenzung zum Urteil KZR 36/04 des Kartellsenats am BGH vom 18.10.2005 (= BGHZ 164, 336, 339 f.) erfolgt in Randnummer 14:

Dem steht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. Oktober 2005 (BGHZ 164, 336, 339 f.) nicht entgegen. In dem dort vom Kartellsenat entschiedenen Fall waren sich die Parteien darüber einig, dass ein Vertrag über die Nutzung des Stromverteilungsnetzes zu einem Preis zustande kommen sollte, von dem die Netzbetreiberin behauptete, sie habe ihn nach den Preisfindungsprinzipien der Verbändevereinbarung über Kriterien zur Bestimmung von Netznutzungsentgelten für elektrische Energie und über Prinzipien der Netznutzung vom 13. Dezember 2001 (BAnz Nr. 85b vom 8. Mai 2002; im folgenden Verbändevereinbarung Strom II plus) ermittelt, wobei sich die Durchleitungspetentin bei Vertragsabschluss vorbehalten hatte, die in Rechnung gestellten Entgelte im ganzen und in ihren einzelnen Bestandteilen energie- und kartellrechtlich überprüfen zu lassen. Die Netzbetreiberin sollte folglich nach der vertraglichen Vereinbarung berechtigt sein, das - auch anfänglich geltende - Netznutzungsentgelt nach der Verbändevereinbarung Strom II plus, insbesondere deren Anlage 3, zu berechnen. Die Anlage 3 zur Verbändevereinbarung Strom II plus enthält Preisfindungsprinzipien für Netznutzungsentgelte. Die Preisbildung soll auf der Grundlage einer dort im einzelnen erläuterten kalkulatorischen Kosten- und Erlösrechnung, des handelsrechtlichen Jahresabschlusses bezogen auf die Bereiche Übertragung und Verteilung und die Übertragungs- und Verteilungspreise strukturell vergleichbarer Netzbetreiber erfolgen, ohne dass daraus indes wegen des bestehenden Tarifgestaltungsspielraums konkrete Preisvorgaben zu entnehmen wären (vgl. BGHZ 163, 282, 289). Daraus hat der Kartellsenat abgeleitet, dass der Netzbetreiberin auch hinsichtlich des anfänglich geltenden Preises ein Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt werden sollte.

 

In Randnummer 15 fasst der VIII. BGH-Senat seine Auffassung nochmals zusammen:

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits haben sich vielmehr mit dem Abschluss des Versorgungsvertrags auf den zum Zeitpunkt der Vereinbarung geltenden, betragsmäßig bestimmten Tarif geeinigt. Der Preis stand als Bestandteil des Angebots der Klägerin bereits fest und wurde mit Vertragsschluss zum vereinbarten Preis (vgl. auch LG Karlsruhe, RdE 2006, 134, 135 mit zustimmender Anmerkung Topp; Ehricke, JZ 2005, 599, 601; aA Markert, RdE 2006, 137, 138; Hanau, ZIP 2006, 1281, 1282). Dass die Kalkulation, auf der das Vertragsangebot der Klägerin beruhte, dem Beklagten nicht bekannt und von ihm nicht beeinflussbar war, ändert daran grundsätzlich nichts. Dies ist bei Preisen in aller Regel der Fall und eröffnet den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 315 BGB nicht (Bork, JZ 2006, 682, 683).

 

 

1.2 Gaspreis-Urteil VIII ZR 36/06 vom 13.6.2007

Im Verfahren VIII ZR 36/06 vom 13.6.2007 ging es um Erdgaspreise zwischen einem klagenden Privatverbraucher aus Heilbronn und der beklagten Heilbronner Versorgungs-GmbH. Die Gasentgelte betrafen die Grundversorgung mit Erdgas, d. h. der Verbraucher war Tarifkunde. Streitgegenstand war laut VIII. Zivilsenat nur eine Tariferhöhung, nicht der gesamte in Rechnung gestellte Gastarif. Tatsächlich wurde im erstinstanzlichen Urteil am Amtsgericht Heilbronn vom 15.4.2005 unter Aktenzeichen 15 C 4394/04 festgehalten: „Denn zur Überprüfung steht naturgemäß der gesamte Preis, weil auch die Preiserhöhung auf einer Preiskalkulation seitens der Beklagten beruht. Nachdem der Kläger mehrfach deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er den Preis insgesamt für unbillig hält, ist sein Klagantrag zumindest dahingehend auszulegen.“, vgl. im Internet auf Seite 19 unter http://www.energieverbraucher.de/files_db/dl_mg_1113576189.pdf. Auf diese bemerkenswerte Abweichung weist auch Professor Dr. Kurt Markert in seinen Anmerkungen zum Urteil VIII ZR 36/06 in der Zeitschrift Recht der Energiewirtschaft (RdE), 2007, Fußnote 4 auf Seite 263 hin.

 

Der 6. Leitsatz des Urteils vom 13.6.2007 lautet:

 

Ein von dem Gasversorger einseitig erhöhter Tarif wird zum vereinbarten Preis, wenn der Kunde die auf dem erhöhten Tarif basierende Jahresabrechnung des Versorgers unbeanstandet hinnimmt, indem er weiterhin Gas von diesem bezieht, ohne die Tariferhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB als unbillig zu beanstanden.

 

Randnummer 32 der Urteilsgründe sieht den Gaspreis mit Vertragsabschluss als „vereinbart“:

Die unmittelbare Anwendung des § 315 BGB setzt voraus, dass die Parteien vereinbart haben, eine von ihnen solle nach Abschluss des Vertrags die Leistung bestimmen (BGHZ 128, 54, 57). An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn sich der bei Abschluss des Gaslieferungsvertrags von dem Versorgungsunternehmen geforderte Preis für die Gaslieferung aus dem jeweiligen allgemeinen Tarif für die leitungsgebundene Versorgung mit Gas ergab (vgl. § 10 Abs. 1 EnWG 1998; § 4 Abs. 1 AVBGasV). Auch in diesem Fall ist der von dem Kunden zu zahlende Preis durch den zuvor von dem Gasversorgungsunternehmen gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 EnWG 1998 veröffentlichten Tarif eindeutig bestimmt und als solcher mit dem Abschluss des Vertrags zwischen den Parteien vereinbart (vgl. Senatsurteil vom 28. März 2007 - VIII ZR 144/06, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, ZIP 2007, 912, unter II 1 a, zum Stromlieferungsvertrag).

 

In Randnummer 36 bekräftigt der VIII. Zivilsenat die Auffassung aus Randnummer 32 nochmals:

Der Berücksichtigung der etwaigen Unbilligkeit vergangener Preiserhöhungen im Rahmen der Überprüfung der hier streitgegenständlichen Preiserhöhung zum 1. Oktober 2004 steht aber entgegen, dass der Kläger die auf diesen Tarifen basierenden Jahresabrechnungen (vgl. § 24 Abs. 1 AVBGasV) unbeanstandet hingenommen hat. Kommt zwischen dem Versorgungsunternehmen und dem Kunden - ob ausdrücklich oder konkludent gemäß § 2 Abs. 2 AVBGasV durch Entnahme von Gas aus einem Verteilungsnetz eines Versorgungsunternehmens - ein Gaslieferungsvertrag zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen zustande (vgl. auch RGZ 111, 310, 312; BGHZ 115, 311, 314; Senatsurteil vom 30. April 2003 - VIII ZR 279/02, NJW 2003, 3131, unter II 1 a m.w.N. zum Stromlieferungsvertrag), so ist der von dem Kunden zu zahlende Preis durch den zuvor von dem Gasversorgungsunternehmen gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 EnWG 1998 veröffentlichten Tarif eindeutig bestimmt und als solcher mit dem Abschluss des Vertrags zwischen den Parteien vereinbart (vgl. Senatsurteil vom 28. März 2007, aaO, unter II 1 a).

 

In Randnummer 36 der Urteilsgründe wird die „Vereinbarung“ des Preises auch auf die Situation übertragen, in der ein Verbraucher Gas bezieht, „ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit nach § 315 BGB zu beanstanden“:

Nicht anders kann es liegen, wenn der Kunde eine auf der Grundlage einer gemäß § 10 Abs. 1 EnWG 1998, § 4 Abs. 2 AVBGasV öffentlich bekannt gegebenen einseitigen Preiserhöhung vorgenommene Jahresabrechnung des Versorgungsunternehmens akzeptiert hat, indem er weiterhin Gas bezogen hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB zu beanstanden. In diesem Fall wird der zum Zeitpunkt der Jahresabrechnung geltende, zuvor einseitig erhöhte Tarif zu dem zwischen den Parteien vereinbarten Preis. Er kann deshalb im Rahmen einer weiteren Preiserhöhung nicht mehr gemäß § 315 Abs. 3 BGB auf seine Billigkeit überprüft werden.

 

 

1.3 Gaspreis-Urteil VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008

Im Verfahren VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008 ging es um Erdgaspreise zwischen einem Privatverbraucher als Kläger und der Stadtwerke Dinslaken GmbH als Beklagter. Die Gasentgelte betrafen die Grundversorgung mit Erdgas, also das Vertragsverhältnis eines Tarifkunden. Streitgegenstand war wieder nur eine Tariferhöhung, nicht der Gesamtpreis des Erdgases. Der 1. Leitsatz des Urteils vom 19.11.2008 lautet:

 

Allgemeine Tarife eines Gasversorgers im Sinne von § 10 EnWG 1998, § 4 AVBGasV unterliegen, soweit sie Gegenstand einer vertraglichen Einigung zwischen dem Versorger und dem Kunden geworden sind, nicht einer umfassenden gerichtlichen Billigkeitskontrolle in entsprechender Anwendung von § 315 BGB. Die Analogie würde der Entscheidung des Gesetzgebers zuwiderlaufen, von einer staatlichen Regulierung der allgemeinen Tarife für Gas abzusehen.

 

In Randnummer 16 des Urteils VIII ZR 138/07 bezieht sich der BGH auf seine beiden oben vorgestellten Urteile, denn bei „BGHZ 171, 374“ handelt es sich um das BGH-Urteil VIII ZR 144/06 vom 28.3.2007 und bei „BGHZ 172, 315“ um das BGH-Urteil VIII ZR 36/06 vom 13.6.2007:

Vertraglich vereinbart haben die Parteien hier zunächst den bei Abschluss des Gasvollversorgungsvertrages 1983 von der Beklagten geforderten Preis, auch wenn es sich bei diesem Preis um den allgemeinen Tarif der Beklagten für die leitungsgebundene Versorgung mit Gas handelte (BGHZ 171, 374, Tz. 13; 172, 315, Tz. 32). Soweit die Beklagte in der Folgezeit auf der Grundlage von § 4 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV vom 21. Juni 1979, BGBl. I S. 676), die auf den Streitfall noch Anwendung findet, einseitig Preiserhöhungen vorgenommen hat, hat der Kläger bis zum Ende des Jahres 2004 die auf diesen (erhöhten) Tarifen basierenden Jahresrechnungen unbeanstandet hingenommen. Indem er weiterhin Gas bezogen hat, ohne in angemessener Zeit eine Überprüfung der Billigkeit etwaiger Preiserhöhungen nach § 315 BGB zu verlangen, ist auch über von der Beklagten bis zum 31. Dezember 2004 geforderte - gegenüber dem bei Vertragsschluss geltenden allgemeinen Tarif erhöhte - Preise konkludent (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AVBGasV) eine vertragliche Einigung der Parteien zustande gekommen (vgl. BGHZ 172, 315, Tz. 36).

 

In den Randnummern 24 und 25 des Urteils vom 19.11.2008 wird die Preissockel-Theorie ausformuliert:

Der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB entzogen ist der Preissockel, der durch den vertraglich vereinbarten Preis bis zum 31. Dezember 2004 gebildet wird, auch dann, wenn der Kläger - wie die Revisionserwiderung geltend macht - schon mit seiner Klage und sodann auch gegenüber der Widerklage den bzw. die Tarife ab dem 1. Januar 2005 jeweils insgesamt als unbillig beanstandet. Hat der Abnehmer den zuvor maßgeblichen Preis im Wege einer vertraglichen Vereinbarung akzeptiert, kann er gegenüber dem neuen Tarif nicht einwenden, schon der alte Preis sei unbillig überhöht gewesen. Denn mit dem in dem alten Preis zum Ausdruck kommenden Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung hat er sich im Wege einer Vertragserklärung einverstanden erklärt. Einseitig festgesetzt wird von dem Gasversorger dann nur der Erhöhungsbetrag.

 

In Randnummer 29 seines Urteils vom 19.11.2008 erkennt der VIII. Senat zumindest implizit an, dass im Preissockel Unbilligkeiten verborgen sein könnten:

Darauf, ob die vor der Preiserhöhung zum 1. Januar 2005 geltenden Preise im Falle einseitiger Festsetzung durch die Beklagte unbillig überhöht gewesen wären, kommt es deshalb für die Frage der Billigkeit der Preiserhöhungen ab dem 1. Januar 2005 nicht an.

 

 


 

2. Alternative höchstrichterliche Rechtsprechung

 

Die Preissockel-Theorie passt überhaupt nicht zur übrigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 315 BGB. In diesem Kapitel wird die frühere Rechtsprechung des VIII. Zivilsenates zu § 315 BGB vor der Preissockeltheorie betrachtet, es werden neuere Urteile des VIII. Zivilsenats zu Preisanpassungen analysiert, und die Preissockel-Theorie wird der Rechtsprechung anderer BGH-Senate gegenübergestellt. Einen kurzen Überblick vermittelt die Tabelle „Rechtsprechung des BGH zur Preissockel-Theorie“, vgl. Seite 9 - 10. Darin sind auch die BGH-Urteile enthalten, die Gegenstand anderer Kapitel sind.

 

Der Gesamtpreis wird in Billigkeitsprüfungen erst mit der Preissockel-Theorie in einen Anfangspreis und spätere Preiserhöhungen aufgespalten, und zwar nur vom VIII. Zivilsenat, und zwar erst seit März 2007 und bislang ausschließlich für Energiepreise. Weder der Kartellsenat noch die frühere Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats spalten den Gesamtpreis bei Verfahren nach § 315 BGB auf.

 

Mit der Auffassung, Kunden hätten sich bei Vertragsabschluss mit dem Energieversorger auf einen konkreten Preis geeinigt, steht der VIII. Zivilsenat am BGH ziemlich allein. Noch weniger Zustimmung der übrigen BGH-Senate findet der Teil der Preissockel-Theorie, wonach ein einseitig erhöhter Tarif zum vereinbarten Preis wird, wenn der Kunde ihn nicht in angemessener Zeit als unbillig beanstandet. Weder mit der Fristvorgabe „in angemessener Zeit“ noch mit der „Vereinbarung“ eines Preises bei einseitigem Leistungsbestimmungsrecht können sich die anderen BGH-Senate anfreunden.

 

Den Preissockel überhaupt keiner Billigkeitsprüfung zu unterziehen, wird von anderen BGH-Senaten nicht befürwortet. Selbst der VIII. Zivilsenat muss in seiner Rechtsprechung 2008 und 2009 anerkennen, dass bei gesunkenen Kosten eine Pflicht zur Preissenkung besteht, die gegebenenfalls auch den Preissockel betrifft.

 

 

2.1 Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats

 

2.1.1 VIII ZR 111/02 vom 5.2.2003 ohne Aufspaltung des Gesamtpreises

Das BGH-Urteil VIII ZR 111/02 vom 5.2.2003 (auch NJW 2003, 1449) befasst sich mit der Rückforderung eines Berliner Privathaushaltes von einem Elektrizitätsversorgungsunternehmen. Der Kläger bezog von 1972 bis 1999 zu einem behördlich genehmigten Privatkundentarif Strom von dem Unternehmen. Der klagende Privatkunde machte mit seiner Klage einen Bereicherungsanspruch geltend, da er die in Rechnung gestellten Strompreise als nicht der Billigkeit entsprechend ansah und damit die getroffene Preisvereinbarung für unverbindlich im Sinne von § 315 Abs. 3 BGB hielt. Der BGH wies den Anspruch des Kunden zurück, da im Rückforderungsprozess der Kunde die Darlegungs- und Beweislast tragen muss. Im Hinblick auf die Preissockel-Theorie ist entscheidend, dass der VIII. Zivilsenat den jeweiligen Gesamtpreis für Strom nicht in einen Anfangspreis und spätere Preiserhöhungen aufspaltete. Vielmehr sah der BGH den Strompreis als eine Einheit, die als unteilbares Ganzes der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegt.

 

 

2.1.2 VIII ZR 279/02 vom 30.4.2003 zu konkludentem Vertragsabschluss

Das BGH-Urteil VIII ZR 279/02 vom 30.4.2003 (auch NJW 2003, 3131) betrifft das Zustandekommen eines Vertrages zur Wasserversorgung und die Billigkeit des Wasserpreises. Nach Teilziffer 15 des Urteils „nimmt derjenige, der aus einem Verteilungsnetz eines Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt, das Angebot zum Abschluß eines entsprechenden Versorgungsvertrages konkludent an.“ In Teilziffer 19 des Urteils heißt es mit zahlreichen Nachweisen: „Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trifft das Versorgungsunternehmen die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit der Ermessensausübung bei Festsetzung des Leistungsentgelts (§ 315 Abs. 3 BGB) dann, wenn das Versorgungsunternehmen hieraus Ansprüche gegen die andere Vertragspartei erhebt.“. Laut Teilziffer 19 des Urteils schuldet der Kunde „im Fall der Unangemessenheit des verlangten Preises von Anfang an nur den vom Gericht bestimmten Preis“ gemäß § 315 Abs. 3 BGB. Weiter heißt es in Teilziffer 19 des Urteils: „Wenn die nach billigem Ermessen zu treffende Bestimmung der Gegenleistung einer Partei überlassen ist, entfällt die bei einem Vertrag normalerweise bestehende Gewißheit über Inhalt und Umfang der Leistung, welche aus der Einigung der Partei hierüber folgt. Den Belangen des Kunden, der die Preisbestimmung für unbillig hält und ein schutzwürdiges Interesse daran hat, lediglich den tatsächlich geschuldeten Preis zahlen zu müssen, kann nur dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, daß es ihm gestattet wird, sich gegenüber dem Leistungsverlangen des Versorgungsunternehmens entsprechend dem in § 315 Abs. 3 BGB enthaltenen Schutzgedanken auf die Unangemessenheit und damit Unverbindlichkeit der Preisbestimmung zu berufen und diesen Einwand im Rahmen der Leistungsklage zur Entscheidung des Gerichts zu stellen. Hieran hat der erkennende Senat auch in nachfolgenden Entscheidungen festgehalten (BGH, Urteil vom 6. Dezember 1989 - VIII ZR 8/89, WM 1990, 608 unter B I 3 a; BGH, Urteil vom 2. Oktober 1991 aaO; a.A. Ludwig/Odenthal/Hempel/Franke aaO, § 30 AVBEltEV Rdnr. 26; Morell aaO, E § 30 Anmerkung d); siehe auch KG in KGR Berlin 2001, 273).

 

Entscheidend an dieser Aussage des VIII. Zivilsenats vom 30.4.2003 ist die Feststellung, dass sich die Vertragsparteien bei konkludentem Abschluss des Versorgungsvertrages nicht auf einen konkreten Preis einigen, wie es bei einem Vertragsschluss nach den § 145 – § 157 BGB erforderlich wäre. Mangels einer Vereinbarung muss der Gesamtpreis deshalb auch bei Vertragsabschluss der Billigkeit nach § 315 BGB genügen. Das Urteil VIII ZR 279/02 beschränkt die Billigkeitsprüfung nicht auf spätere Preiserhöhungen. Der jeweils gültige Gesamtpreis wird nicht in einen Preissockel bei Vertragsabschluss und zeitlich folgende Preiserhöhungen zerlegt, sondern als Ergebnis einer einzigen Preisbestimmung in seiner Gesamtheit betrachtet. Auch der Zeitpunkt, bis zu dem ein Unbilligkeitseinwand nach § 315 BGB erhoben werden darf, ist in dem Urteil vom 30.4.2003 nicht begrenzt worden.

 

 

2.1.3 VIII ZR 66/04 vom 26.1.2005 zur Preisbindung bei Vertragsabschluss

In dem Verfahren VIII ZR 66/04 vom 26.1.2005 klagte ein Energieversorgungsunternehmen gegen den Betreiber eines Seniorenzentrums wegen unbezahlter Stromlieferungen. Der Fall ist dadurch bekannt geworden, dass hier ein weiteres Energieversorgungsunternehmen als Dritter beteiligt ist und durch seine Insolvenz komplizierte Vertragsverhältnisse schaffte. In Abschnitt II 3. b) der Urteilsgründe wird diskutiert, ob der Grundversorger während der Insolvenz des Dritten mit der Stromlieferung an das Seniorenzentrum beauftragt war. In dem Zusammenhang machte der VIII. Zivilsenat einige grundlegende Aussagen zum Zustandekommen eines Vertrages. Nach § 10 EnWG 1998 ist ein Stromversorgungsunternehmen „zwar verpflichtet, in dem Gemeindegebiet, in dem die Beklagte ansässig ist, jedermann an ihr Versorgungsnetz anzuschließen und zu versorgen. § 10 EnWG normiert jedoch keine Pflicht zum Leistungsaustausch schlechthin ohne vorher durch Vereinbarung geschaffene vertragliche Grundlage, sondern lediglich einen Kontrahierungszwang (Danner in: Danner/Theobald, Energierecht, § 10 Rn. 23, 35). Die Vorschrift macht den Abschluss individueller Versorgungsverträge durch übereinstimmende Willenserklärungen nicht entbehrlich, sondern verpflichtet den Netzbetreiber lediglich dazu, das Angebot des Letztverbrauchers auf Abschluss eines Anschluss-


Rechtsprechung des BGH zur Preissockel-Theorie (Tabelle – Teil 1)

 

Aktenzeichen

Urteil vom

Streitgegenstand

Aussage zur Preissockel-Theorie
in § 315 BGB

beteiligte Richter
(V = Vorsitz)

Abschnitt

III ZR 195/84

6.3.1986

Zinsanpassungsklausel Firmenkreditvertrag

keine Frist für Klage nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB, insbesondere keine Verwirkung bei fehlendem Umstandsmoment

nicht gefunden

2.3.1

III ZR 287/97

2.7.1998

Tarifreform 1996 Deutsche Telekom

Einseitige Preisfestlegung und damit Möglichkeit der Billigkeitsprüfung auch bei behördlicher Genehmigung der Stromtarife

nicht gefunden

2.3.2

VIII ZR 111/02

5.2.2003

Strompreis Privatkunde

keine Aufspaltung des Gesamtpreises in Anfangspreis und spätere Preiserhöhungen

Dr. Deppert (V), Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Dr. Leimert, Dr. Frellesen

2.1.1

VIII ZR 279/02

30.4.2003

Trinkwasser Privatkunde

bei konkludentem Abschluss eines Versorgungsvertrages keine Einigung auf konkreten Preis

Dr. Deppert (V), Dr. Hübsch, Dr. Leimert, Dr. Wolst, Dr. Frellesen

2.1.2

VIII ZR 66/04

26.1.2005

Stromvertrag Endverbraucher

bei Vertragsabschluss keine Bindung an vereinbarten Vertragspreis

Dr. Deppert (V), Dr. Beyer, Wiechers, Dr. Wolst, Hermanns

2.1.3

VIII ZR 199/04

20.7.2005

Miethöhe nichtgewerblich

keine stillschweigende Zustimmung zu Preiserhöhung durch vorbehaltlose Zahlung des erhöhten Preises

Dr. Deppert (V), Ball, Dr. Leimert, Wiechers, Dr. Wolst

2.1.4

KZR 36/04

18.10.2005

Stromnetznutzungsentgelt zwischen Netzbetreiber und Energieversorger

Keine Aufspaltung des Gesamtpreises in Anfangspreis und spätere Preiserhöhungen

Präsident des BGH Prof. Dr. Hirsch (V), Prof. Dr. Goette, Ball, Prof. Dr. Bornkamm, Prof. Dr. Meier-Beck

2.2.1

KZR 24/04

7.2.2006

Kaufpreis Stromversorgungsnetz

Kaufpreis ohne Einigung über Kaufpreis unwirksam, falls kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht besteht

Präsident des BGH Prof. Dr. Hirsch (V), Ball, Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Raum, Dr. Strohn

3.5

VII ZR 165/05

11.1.2007

Werklohn Außenanlagen

Zahlung des Werklohns auf geprüfte Rechnung kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis

Dr. Dressler (V), Dr. Haß, Dr. Wiebel, Prof. Dr. Kniffka, Dr. Eick

2.3.3

VIII ZR 144/06

28.3.2007

Stromsondervertrag Privatkunde

auch in allgemeinen Tarifen der Grundversorgung gilt der bei Vertragsabschluss gültige Strompreis als vereinbart

Ball (V), Dr. Wolst, Dr. Frellesen, Hermanns, Dr. Hessel

1.1

VIII ZR 36/06

13.6.2007

Grundversorgung Gas Privatkunde

einseitig erhöhter Tarif wird zum vereinbarten Preis, wenn er nicht in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB als unbillig beanstandet wird

Ball (V), Dr. Wolst, Dr. Frellesen, Hermanns, Dr. Hessel

1.2

 

Rechtsprechung des BGH zur Preissockel-Theorie (Tabelle – Teil 2)

 

Aktenzeichen

Urteil vom

Streitgegenstand

Aussage zur Preissockel-Theorie
in § 315 BGB

beteiligte Richter
(V = Vorsitz)

Abschnitt

KZR 29/06

4.3.2008

Stromnetznutzungsentgelt zwischen Netzbetreiber und Energieversorger

Billigkeitsprüfung des Gesamtpreises auch nach nicht beanstandeten früheren Preiserhöhungen möglich

Prof. Dr. Bornkamm (V), Dr. Raum, Prof. Dr. Meier-Beck, Dr. Strohn, Dr. Kirchhoff

2.2.2

XI ZR 55/08 u. XI ZR 78/08

21.4.2008

Klausel von Sparkassen zur Anpassung von Zinsen und Kosten

·       Verpflichtung zur Herabsetzung der Entgelte bei sinkenden Kosten

·       Anspruch der Kunden auf Neuberechnung zeitlich unbefristet

Wiechers (V), Dr. Müller, Dr. Ellenberger, Maihold, Dr. Matthias

2.3.4

KZR 2/07

29.4.2008

Erdgassondervertrag Privatkunden

·       bei gesunkenen Kosten sind Endkundenpreise entsprechend zu senken

·       Zeitpunkte für Tarifänderungen bei Erhöhung und Senkung nach gleichen Maßstäben

Prof. Dr. Bornkamm (V), Dr. Raum, Prof. Dr. Meier-Beck, Dr. Strohn, Dr. Koch

2.2.3

VIII ZR 265/07

11.11.2008

Autoreparatur Privatkunde

kein Anerkenntnis durch vorbehaltlose Zahlung einer Rechnung

Ball (V), Wiechers, Dr. Frellesen, Dr. Hessel, Dr. Achilles

2.1.5

VIII ZR 138/07

19.11.2008

Grundversorgung Gas Privatkunde

·       der Preissockel ist der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB entzogen.

·       im Preis kommt ein Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zum Ausdruck, mit dem sich der Verbraucher im Wege der Vertragserklärung einverstanden erklärt, falls er nicht widerspricht.

·       Kostenbestandteile des Preissockels in Billigkeitsprüfung einer Preiserhöhung einzubeziehen

Ball (V), Dr. Frellesen, Hermanns, Dr. Milger, Dr. Achilles

1.3

 

 

 

 

 

 

2.1.6

 

VIII ZR 56/08

15.7.2009

Preisanpassungsklausel Gasversorgungssondervertrag

Verpflichtung zu Preissenkungen bei gefallenen Gasbezugskosten

Ball (V), Hermanns, Dr. Milger, Dr. Hessel, Dr. Schneider

2.1.7

VIII ZR 225/07

15.7.2009

Preisanpassungsklausel Gasversorgungssondervertrag

Verpflichtung zu Preissenkungen bei gefallenen Gasbezugskosten

Ball (V), Dr. Frellesen, Hermanns, Dr. Milger, Dr. Hessel

2.1.8

 


und Versorgungsvertrages zu den allgemeinen Bedingungen und Tarifen anzunehmen (Hempel, aaO, § 2 AVBEltV Rdnr. 11; Eckert/ Tegethoff in Tegethoff/Büdenbender/Klinger, § 2 AVBEltV/AVBGasV Rdnr. 3; Büdenbender, EnWG, § 10 Rdnr. 92).

 

Demnach geht schon das Angebot für einen Vertrag in der Grundversorgung nicht vom Energieversorger aus, sondern vom Letztverbraucher. Das Energieversorgungsunternehmen entscheidet im konkreten Fall darüber, ob es dieses Angebot annimmt oder ob gegebenenfalls Gründe entgegenstehen. Das Energieversorgungsunternehmen geht dabei keinerlei Bindung auf einen vereinbarten Vertragspreis ein, auf welche sich der Kunde hiernach entsprechend dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ berufen kann. Vielmehr behält sich das Unternehmen in jedem Falle vor, die Preise jederzeit einseitig neu festzulegen. Dieser Vorbehalt hindert eine wirksame Einigung auf einen vereinbarten Strompreis bei Vertragsabschluss, ohne das Recht auf einseitige Leistungsbestimmung wäre der Vertrag nach § 154 Abs. 1 BGB unwirksam. So hat es der Jenaer Rechtsanwalt Thomas Fricke in einem Kommentar zum BGH-Urteil VIII ZR 144/06 vom 28.03.2007 im Forum des Bundes der Energieverbraucher am 01.05.2007 ausgeführt, siehe http://forum.energienetz.de/thread.php?threadid=6241.

 

 

2.1.4 VIII ZR 199/04 vom 20.7.2005 zur stillschweigenden Zustimmung

In dem Verfahren VIII ZR 199/04 klagte eine Mieterin und ihr im Laufe des Rechtsstreits verstorbener und von ihr allein beerbter Ehemann gegen den Vermieter ihrer Wohnung wegen Mieterhöhungen. Der Leitsatz dieses BGH-Urteils lautet:

Hat sich der Vermieter im Mietvertrag eine einseitige Neufestsetzung der Miete vorbehalten und hat er in seinen an die Mieter gerichteten Mieterhöhungsschreiben erkennbar auf der Grundlage dieser - nach § 557 Abs. 4 BGB - unwirksamen vertraglichen Regelung sein einseitiges Bestimmungsrecht ausüben wollen, liegt darin, vom Empfängerhorizont der Mieter ausgehend, kein Angebot zum Abschluß einer Mieterhöhungsvereinbarung. Schon deshalb kann in der Zahlung der erhöhten Miete seitens der Mieter eine stillschweigende Zustimmung zu der Mieterhöhung nicht gesehen werden (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 29. Juni 2005 - VIII ZR 182/04, zur Veröffentlichung bestimmt).

 

In Abschnitt II 2 b) der Urteilsgründe heißt es:

Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß nach den vorliegenden Umständen die vorbehaltlose Zahlung des von der Beklagten einseitig verlangten Mieterhöhungsbetrages nach dem objektiven Empfängerhorizont schon deshalb nicht als stillschweigende Zustimmung der Mieter zu einer Mieterhöhung angesehen werden kann, weil die einseitige Neufestlegung der Miete durch die Beklagte kein Angebot auf Abschluß einer Mieterhöhungsvereinbarung darstellte.

... Aus der Sicht eines verständigen Mieters hat die Beklagte durch ihre Schreiben, in denen sie die zukünftig zu zahlende Miete festlegte, erkennbar auf der Grundlage der - unwirksamen – vertraglichen Regelung ihr einseitiges Bestimmungsrecht ausüben wollen. Hierin lag daher, vom Empfängerhorizont der Mieter ausgehend, kein Angebot zum Abschluß einer Mieterhöhungsvereinbarung. Es war für sie bereits nicht ersichtlich, daß es ihnen frei stand, der Mieterhöhung zuzustimmen oder es auf ein etwaiges Mieterhöhungsverfahren ankommen zu lassen. Die Rechtslage musste sich ihnen vielmehr so darstellen, als seien sie schon aufgrund der einseitigen Erklärung der Beklagten zur Zahlung verpflichtet. Deshalb durfte die Beklagte auch der Zahlung der erhöhten Miete keine Erklärungsbedeutung beimessen, wie das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum rechtsfehlerfrei angenommen hat.

 

Ebenso verhält es sich mit der Preiserhöhung bei Strom und Erdgas für Tarifkunden. Die einseitige Preiserhöhung eines Energieversorgers in der Grundversorgung ist kein Angebot im Sinne von § 145 BGB, das der Verbraucher innerhalb einer bestimmten Frist annehmen könnte. Vielmehr nutzt der Energieversorger nur sein gesetzliches Recht zur einseitigen Leistungsbestimmung. Bei der Preiserhöhung handelt es sich um eine einseitige unwiderrufliche Willenserklärung des Energieversorgers nach § 315 Abs. 2 BGB. Selbst die langjährige und vorbehaltlose Zahlung der erhöhten Energiepreise kann deshalb nicht als stillschweigende Zustimmung zu den Preiserhöhungen interpretiert werden.

 

 

2.1.5 VIII ZR 265/07 vom 11.11.2008 zur Anerkenntnis durch vorbehaltlose Zahlung

Im Verfahren VIII ZR 265/07 kaufte der Kläger am 14. April 2005 von einem Autohändler einen gebrauchten Pkw, bei dem 5 ½ Monate nach Kauf ein Getriebeschaden auftrat. Der Autokäufer ließ den Schaden in der Werkstatt des Autohändlers reparieren und beglich zunächst vollständig die Rechnung. Kurz darauf forderte der Kläger diesen Betrag mit der Erklärung zurück, ihn in Unkenntnis der Rechtslage bezahlt zu haben, weil der Getriebeschaden von der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Gewährleistungspflicht kostenlos zu beseitigen gewesen sei und abweichende Gewährleistungs-/Garantiebedingungen wegen Vorliegens eines Verbrauchsgüterkaufs unwirksam seien. Der 1. Leitsatz des Urteils VIII ZR 265/07 vom 11.11.2008 lautet: „Die vorbehaltlose Bezahlung einer Rechnung rechtfertigt für sich genommen weder die Annahme eines deklaratorischen noch eines ‚tatsächlichen’ Anerkenntnisses der beglichenen Forderung (im Anschluss an BGH, Urteil vom 11. Januar 2007 - VII ZR 165/05, NJW-RR 2007, 530).

 

In Randnummer 12 des Urteils vom 11.11.2008 wird das wie folgt begründet: „Der Umstand, dass eine Rechnung vorbehaltlos beglichen wird, enthält über seinen Charakter als Erfüllungshandlung (§ 363 BGB) hinaus keine Aussage des Schuldners, zugleich den Bestand der erfüllten Forderungen insgesamt oder in einzelnen Beziehungen außer Streit stellen zu wollen. Das gilt auch für die tatsächlichen Grundlagen der einzelnen Anspruchsmerkmale. Zwar wird es in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht als ausgeschlossen angesehen, der vorbehaltlosen Begleichung einer Rechnung zugleich eine Anerkenntniswirkung hinsichtlich der zu Grunde liegenden Forderung beizumessen. Dies erfordert aber stets ein Vorliegen weiterer Umstände, die geeignet sind, eine derartige Wertung zu tragen. Solche Umstände sind hier nicht festgestellt. Für sich genommen rechtfertigt die Bezahlung der Rechnung nicht die Annahme eines Anerkenntnisses (BGH, Urteil vom 11. Januar 2007, aaO, Tz. 9).

 

 

2.1.6 VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008 zu Komponenten des Preissockels

Im Urteil VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008 wurde nicht nur die Preissockel-Theorie vollendet, sondern es findet sich in Abschnitt II 3. c) der Urteilsgründe unter Randnummer 39 auch ein Hinweis auf die „Kostenbestandteile des Preissockels“ in der Billigkeitsprüfung. In Randnummer 39 heißt es: „Eine auf eine Bezugskostensteigerung gestützte Preiserhöhung kann allerdings - wie die Revisionserwiderung zu Recht einwendet - unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird (BGHZ 172, 315, Tz. 26). Unter diesem Gesichtspunkt müssen jedenfalls die Kostenbestandteile des Preissockels in die Beurteilung der Billigkeit der Preiserhöhung einbezogen werden, auch wenn dieser in seiner Gesamtheit, wie ausgeführt (oben unter 1), einer Billigkeitskontrolle entzogen ist.

 

„BGHZ 172, 315“ enthält das BGH-Urteil VIII ZR 36/06 vom 13.6.2007, dessen 4. Leitsatz lautet: „Eine Tariferhöhung, mit der lediglich gestiegene Bezugskosten des Gasversorgers an die Tarifkunden weitergegeben werden, entspricht grundsätzlich der Billigkeit; sie kann allerdings unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg der Bezugskosten durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird.“ Zur Begründung wird in Abschnitt II 3. b) des Urteils VIII ZR 36/06 unter Randnummer 26 ausgeführt: „Eine auf eine Bezugskostenerhöhung gestützte Preiserhöhung kann allerdings unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird.

 

Damit ist selbst nach Auffassung des VIII. Zivilsenats der Preissockel doch nicht der Block, der nach den Vorstellungen der Preissockel-Theorie jeglicher Billigkeitsprüfung entzogen sei. Der Mainzer Rechtsprofessor Dr. Meinrad Dreher stellt in seinem Aufsatz zur richterlichen Billigkeitsprüfung gemäß § 315 BGB auf Seite 107 in Heft 2 der ZNER 2007 fest: „Denn eine Preiserhöhung kann nur dann als billig oder unbillig beurteilt werden, wenn das Gericht die Zusammensetzung des Gesamtpreises in ihren wesentlichen Zügen kennt. Die Billigkeit einer Preiserhöhung, die vom Netzbetreiber etwa mit einer Bezugskostensteigerung begründet wird, kann vom Gericht nicht isoliert beurteilt werden, ohne zu wissen, welchen Anteil die Bezugskosten am Gesamtpreis ausmachen. Hinzu kommt, dass die Feststellung der Billigkeit auch durch Veränderungen anderer Preisbestandteile, die unter Umständen nur oder eher den Preissockel betreffen, bestimmt wird. Preissockel und Preisüberbau stehen daher hinsichtlich des Billigkeitskriteriums im Verhältnis kommunizierender Röhren.

 

 

2.1.7 VIII ZR 225/07 vom 15.7.2009 zur Preissenkungspflicht

Der Kläger bezog mit einem Sondervertrag Erdgas von dem Gasversorgungsunternehmen Berliner Gaswerke AG (GASAG). Der Rechtsstreit dreht sich um die Wirksamkeit der folgenden Preisanpassungsklausel: „Der Gaspreis folgt den an den internationalen Märkten notierten Ölpreisen. Insofern ist ... [der Gasversorger] berechtigt, die Gaspreise … auch während der laufenden Vertragsbeziehung an die geänderten Gasbezugskosten … [des Gasversorgers] anzupassen. Die Preisänderungen schließen sowohl Erhöhung als auch Absenkung ein.

 

In Randnummer 28 des Urteils VIII ZR 225/07 vom 15.7.2009 heißt es: „Aus der Bindung des Allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen folgt, wie oben bereits ausgeführt, weiter, dass das Preisänderungsrecht des Gasversorgungsunternehmens nach § 4 AVBGasV mit der Rechtspflicht einhergeht, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und den Zeitpunkt einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist (BGHZ 176, 244, Tz. 26; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. April 2009, aaO, Tz. 25).“ Der VIII. Zivilsenat des BGH rügt die Preisanpassungsklausel, weil sie durch die nicht vorgegebene Wahl des Preisanpassungstermins dem Versorger die Möglichkeit bietet, „erhöhten Gasbezugskosten umgehend, niedrigeren Gasbezugskosten jedoch nicht oder erst mit zeitlicher Verzögerung durch eine Preisänderung Rechnung zu tragen“, vgl. Randnummer 29 des Urteils vom 15.7.2009.

 

 

2.1.8 VIII ZR 56/08 vom 15.7.2009 zur Preissenkungspflicht

Ein nach § 4 Abs. 1 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverband klagt gegen die Kommunale Gasunion GmbH & Co. KG, einen niedersächsischen Gasversorger. In dem Verfahren VIII ZR 56/08 geht es um die AGB-rechtliche Wirksamkeit der folgenden Preisanpassungsklausel in einem Erdgassondervertrag: „… [Der Gasversorger] darf den Festpreis und den Verbrauchspreis entsprechend § 5 Abs. 2 GasGVV anpassen. Es handelt sich um eine einseitige Leistungsbestimmung, die wir nach billigem Ermessen ausüben werden. Soweit sich der Festpreis oder der Verbrauchspreis ändert, können Sie den Vertrag entsprechend § 20 GasGVV kündigen.

 

In Randnummer 28 des Urteils VIII ZR 56/08 betont der VIII. Zivilsenat die Verpflichtung des Gasversorgungsunternehmens, „gefallenen Gasbezugskosten nach gleichen Maßstäben wie gestiegenen Kosten Rechnung zu tragen.“ Laut Randnummer 29 der Urteilsgründe vom 15.7.2009 muss ein Energieversorger auch im Falle einer Absenkung von Gasbezugskosten nach gleichmäßigen Maßstäben zu bestimmten Zeitpunkten eine Preisanpassung vornehmen. Das „gesetzliche Leitbild des § 5 Abs. 2 GasGVV“ erlaubt es dagegen nicht, „durch die in der Preisanpassungsklausel nicht vorgegebene Wahl des Preisanpassungstermins erhöhten Gasbezugskosten umgehend, niedrigeren Gasbezugskosten jedoch nicht oder erst mit zeitlicher Verzögerung durch eine Preisänderung Rechnung zu tragen.

 

 

2.2 Rechtsprechung des Kartellsenats

 

2.2.1 KZR 36/04 vom 18.10.2005 zu Stromnetznutzungsentgelten

Die Aufspaltung des Gesamtpreises in einen Preissockel und spätere Preiserhöhungen führt nach Auffassung des Kartellsenates am Bundesgerichtshof zu willkürlichen Ergebnissen. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes hat sich im Urteil vom 18.10.2005 - KZR 36/04 - mit einer Feststellungsklage wegen überhöhter Netzentgelte für die Nutzung von Stromnetzen beschäftigt. In Randnummer 10 der Urteilsbegründung wird ausgeführt, dass im Falle eines bestehenden einseitigen Leistungsbestimmungsrechts sich die einheitliche Preisvereinbarung nicht künstlich in einen vereinbarten Anfangspreis und einen einseitig bestimmten Folgepreis aufspalten lässt, weil dies zu willkürlichen Ergebnissen führt:

 

Aber auch das zum Zeitpunkt des Vertragschlusses von dem Netzbetreiber geforderte Entgelt ist regelmäßig ein nach dem Willen der Vertragsparteien einseitig bestimmtes Entgelt, das der Netzbetreiber zu bestimmten Zeitpunkten ermittelt und das - schon zur Vermeidung einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung - für eine bestimmte Zeitdauer sämtlichen Vertragsbeziehungen mit gleichen Nutzungsprofilen unabhängig davon zugrunde liegen soll, wann der Vertrag geschlossen wird. Auch dann, wenn das Entgelt betragsmäßig bereits feststellbar ist, wird - wie im Streitfall der Verweis auf die ‚jeweils geltende Anlage 3’ verdeutlicht - nicht dieser Betrag als Preis vereinbart. Der Betrag gibt vielmehr lediglich das für einen bestimmten Zeitpunkt ermittelte Ergebnis des gleichen Preisbestimmungsverfahrens wieder, das dem Netzbetreiber auch für die Zukunft zustehen soll, an dem der Netznutzer nicht teilnimmt, dessen konkrete preisbestimmende Faktoren ihm nicht bekannt sind und dessen Ergebnis er weder nachvollziehen noch beeinflussen kann. Es ist daher nicht weniger einseitig bestimmt als die künftige Höhe des Entgelts. Es wäre eine künstliche Aufspaltung der äußerlich und inhaltlich einheitlichen Preisvereinbarung und führte zu Zufallsergebnissen, wollte man einen vereinbarten Anfangspreis von (vom Zeitpunkt der ersten ausdrücklich oder stillschweigend vorgesehenen Neuberechnung an maßgeblichen) einseitig bestimmten Folgepreisen unterscheiden.

 

Wo ein vereinbarter Anfangspreis und die Berechtigung des Leistungsbestimmungsberechtigten, die Preise in der Zukunft einseitig neu festzulegen, differenziert wird, stellt sich die Frage, wann die Zukunft beginnt. Die Zukunft beginnt in dem Augenblick, in dem die Gegenwart vorbei ist, also schon in der nächsten Sekunde. Deshalb ist bei einem bestehenden einseitigen Leistungsbestimmungsrecht der Preis wohl allenfalls für eine juristische Sekunde nicht einseitig bestimmt. Aus der Sicht des Zeitpunktes des Vertragsabschlusses sind alle Preise innerhalb der sich unmittelbar anschließenden Vertragsdurchführungsphase zukünftige Preise, die also dem einseitigen Preisfestsetzungsrecht der Energieversorger unterliegen, so dass diese Preise jederzeit ab Vertragsabschluss einseitig festgelegt sind. So hat es Rechtsanwalt Thomas Fricke aus Jena im Forum des Bundes der Energieverbraucher am 17.11.2007 in dem Thread „Neue Aufsätze zu §§ 307, 315 BGB bei Energiepreisen !!“ ausgedrückt.

 

Der VIII. Zivilsenat grenzt sich in seinem Urteil VIII ZR 144/06 vom 28.3.2007 von dem obigen Urteil des Kartellsenats ab. Die Abgrenzung findet sich ausdrücklich im 1. Leitsatz des Urteils vom 28.3.2007 wie auch in Randnummer 14 der Urteilsgründe, vgl. Abschnitt 1.1. Prof. Dr. Kurt Markert kommentiert das Urteil des VIII. Zivilsenats und speziell die Abgrenzung vom Kartell-Urteil KZR 36/04 wie folgt, vgl. Zeitschrift Recht der Energiewirtschaft (RdE), Heft 6/2007, Seite 161 – 163, hier Seite 162, linke Spalte:

Anders als der VIII. Zivilsenat in den Gründen seines Urteils vom 28.3.2007 meint, hatten die Parteien in dem vom Kartellsenat entschiedenen Fall nicht vereinbart, dass der beklagte Stromnetzbetreiber das Nutzungsentgelt einseitig auf der Grundlage der Anlage 3 zur Verbändevereinbarung Strom II plus bestimmen soll, was offenbar auch nach Ansicht des VIII. Zivilsenats ein einseitiges Preisbestimmungsrecht i.S. des § 315 BGB wäre. Vielmehr war die ‚jeweils geltende Anlage 3’ zum Netznutzungsvertrag, nach der sich die Nutzungsentgelte bestimmten, eine vom Netzbetreiber einseitig festgelegte Preisliste. Wenn er sich bei deren Festlegung an den Kalkulationsgrundsätzen der Verbändevereinbarung orientiert hat, ist dies für die Frage des Leistungsbestimmungsrechts genau so wenig relevant wie bei der Kalkulation von Stromtarifen die Orientierung an den Maßstäben der BTOElt. Dass der Kartellsenat den ausschlaggebenden Grund für die Einbeziehung auch des ‚Anfangspreises’ in das Preisbestimmungsrecht des Lieferanten nicht in der Orientierung der Preiskalkulation gesehen hat, ergibt sich auch aus seiner Aussage: ‚Es wäre eine künstliche Aufspaltung der äußerlich und inhaltlich einheitlichen Preisvereinbarung und führte zu Zufallsergebnissen, wollte man einen vereinbarten Anfangspreis von (vom Zeitpunkt der ersten stillschweigend vorgesehenen Neuberechnung an maßgeblichen) Folgepreisen unterscheiden.’ In diesem Lichte lässt sich die vom VIII. Zivilsenat sogar leitsatzmäßig betonte Abgrenzung seiner Entscheidung von der des Kartellsenats vom 18.10.2005 nur als eine scheinbare bewerten.

 

Offensichtlich unterstellte der VIII. Zivilsenat des BGH in seinem Urteil VIII ZR 144/06 vom 28.3.2007 falsche Tatsachen. Mit seiner Darstellung verfälschte der VIII. Zivilsenat wesentliche Umstände zu der „Anlage 3“: im Urteil KZR 36/04 des Kartellsenats vom 18.10.2005 geht es um nicht um eine Anlage der „Verbändevereinbarung Strom II plus“, wie die Randnummern 1 und 9 der Urteilsgründe zu KZR 36/04 zeigen, sondern um das Preisblatt des Netzbetreibers, das dem Netznutzungsvertrag als Anlage beigefügt war. Dadurch, dass der VIII. Zivilsenat beim Versuch seiner Abgrenzung vom Kartellsenat dem tatsächlichen Sachverhalt zusätzliche bzw. andersartige Tatsachen unterstellt, begeht er eine sogenannte „Sachverhaltsquetsche“. Die Sachverhaltsquetsche ist ein typischer Fehler von angehenden Juristen im Studium der Rechtswissenschaften. Der Fehler der Sachverhaltsquetsche wird von Studenten häufig begangen, um eine bereits bekannte oder gewünschte Lösung für den vorliegenden Fall übernehmen zu können. Die Sachverhaltsquetsche im Urteil VIII ZR 144/06 vom 28.3.2007 ist um so erstaunlicher, als der Vorsitzende Richter des VIII. Zivilsenats, Wolfgang Ball, auch das Urteil des Kartellsenats vom 18.10.2005 mit gefällt hat und er die Zusammenhänge im Verfahren KZR 36/04 genau kennen musste, zumal die beiden Urteile gerade 1,5 Jahre trennen.

 

 

2.2.2 KZR 29/06 vom 4.3.2008 zu Stromnetznutzungsentgelten

Die Entscheidung KZR 29/06 des Kartellsenats vom 4.3.2008 trägt den Titel „Stromnetznutzungsentgelt III“ und beschäftigt sich mit der gerichtlichen Bestimmung des angemessenen Stromnetznutzungsentgelts und mit der Rückzahlung zuviel gezahlten Entgelts. Die Klägerin hatte mit dem beklagten Stromnetzbetreiber einen Netzanschluss- und Netznutzungsvertrag geschlossen und hielt die vom Netzbetreiber festgelegten Entgelte für überhöht. Das angerufene Gericht sollte ein billiges Entgelt im Sinne des § 315 Absatz 3 BGB bestimmen.

 

Der Kartellsenat des BGH bezieht sich mit dem Urteil KZR 29/06 vom 4.3.2008 auf sein früheres Urteil vom 18.10.2005 unter Aktenzeichen KZR 36/04. Der 2. Leitsatz aus der BGH-Entscheidung vom 4.3.2008 lautet:

 

„Der Nachprüfung der Billigkeit des vom Wettbewerb nicht kontrollierten Netznutzungsentgelts steht es nicht entgegen, wenn der Preis bei Vertragschluss beziffert worden ist oder der Netznutzer eine frühere Preiserhöhung nicht beanstandet hat (Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 13.6.2007 – VIII ZR 36/06, NJW 2007, 2540 [für BGHZ vorgesehen]).“

 

Die Billigkeitsprüfung erstreckt sich auf den Gesamtpreis und schließt den Preis bei Vertragsabschluss sowie unbeanstandete frühere Preiserhöhungen mit ein. Von einer Aufspaltung des Gesamtpreises im Sinne der Preissockel-Theorie ist in dem Urteil des Kartellsenats keine Rede.

 

 

2.2.3 KZR 2/07 vom 29.4.2008 zu Erdgassonderverträgen

Die Entscheidung KZR 2/07 vom 29.4.2008 befasst sich mit einer Preiserhöhungsklausel des sächsischen Erdgasversorgers ENSO Erdgas GmbH in Erdgassonderverträgen. Darin äußerte sich der Kartellsenat auch zur Verpflichtung, bei gesunkenen Einkaufskosten die Endkundenpreise zu senken. Mit der Verpflichtung zu Preissenkungen im Falle reduzierter Kosten ist für einen starren Preissockel kein Platz mehr. In Randnummer 17 des Urteils KZR 2/07 heißt es dazu: „Die Preisänderungsklausel benachteiligt die Kunden der Beklagten schon deshalb entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, weil sie nur das Recht der Beklagten enthält, Erhöhungen ihres Gaseinstandspreises an ihre Kunden weiterzugeben, nicht aber die Verpflichtung, bei gesunkenen Gestehungskosten den Preis zu senken. Hierdurch wird es der Beklagten ermöglicht, eine erhöhte Kostenbelastung durch eine Preiserhöhung aufzufangen, hingegen den Vertragspreis bei einer Kostensenkung durch einen geringeren Einstandspreis unverändert zu lassen. Risiken und Chancen einer Veränderung des Einstandspreises werden damit zwischen den Parteien ungleich verteilt; eine solche unausgewogene Regelung rechtfertigt kein einseitiges Recht der Beklagten zur Änderung des sich aus der vertraglichen Vereinbarung der Parteien ergebenden Preises.

 

In den Randnummern 18 – 28 des Urteils KZR 2/07 wird das ausführlich begründet. Bemerkenswert sind die Aussagen in Randnummer 26 zu den Zeitpunkten von Preisänderungen: „Aus der gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit (BGHZ 172, 315 Tz. 16 f., = VIII ZR 36/06 vom 13.6.2007) ergibt sich nicht nur die Rechtspflicht des Versorgers, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der Versorger ist vielmehr auch verpflichtet, die jeweiligen Zeitpunkte einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen, so dass Kostensenkungen mindestens in gleichem Umfang preiswirksam werden müssen wie Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist, und enthält damit gerade dasjenige zu einer ausgewogenen Regelung notwendige Element, das der von der Beklagten vorgegebenen vertraglichen Anpassungsklausel fehlt.“

 

 

2.3 Rechtsprechung anderer BGH-Senate

 

2.3.1 III ZR 195/84 vom 6.3.1986 zu Zinsanpassungsklausel

Das BGH-Urteil III ZR 195/84 vom 6.3.1986, zugleich NJW 1986, 1803, beschäftigt sich mit der Zinsanpassungsklausel in den ABG einer Bank für Kreditverträge. Die beklagte Bank behielt sich in ihren formularmäßigen Kreditverträgen einseitig eine Zinsänderung vor. Der Kläger ist ein Bauunternehmer, der die Zinssätze seiner Kredite für überhöht hält. Nach Auffassung des Klägers hat die beklagte Bank das Recht, die Zinsen zu bestimmen, entgegen § 315 BGB nicht nach billigem Ermessen ausgeübt.

 

In Abschnitt III 1. der Urteilsgründe heißt es:

„§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB bestimmt für die Erhebung der dort vorgesehenen Klage keine besondere Frist. Der Betroffene kann allerdings durch illoyale Verzögerung der Klageerhebung sein Klagerecht verwirken (MünchKomm-Söllner 2. Aufl. § 315 Rn. 27 im Anschluß an BAGE 18, 54, 59 f.). Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete*) bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Verpflichteten entnehmen durfte, daß dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde.“

*) offenbar ein Schreibfehler: statt „Verpflichteter“ müsste es „Berechtigter“ heißen.

 

Nach Auffassung von Prof. Dr. Meinrad Dreher ist das Umstandsmoment in Streitigkeiten zur Billigkeit von Erhöhungen bei Energiepreisen regelmäßig nicht erfüllt. Deshalb lehnt er wie der BGH in seinem viel zitierten Urteil vom 6.3.1986 eine Verwirkung ab, wenn Energieverbraucher nicht in angemessener Zeit die Unbilligkeit der Preise rügen und z. B. den Preissockel dulden, vgl. Dreher in ZNER 2/2007, Seite 108. Das Urteil III ZR 195/84 ist ein viel zitiertes BGH-Urteil, so greifen darauf u. a. die BGH-Urteile V ZR 49/99 vom 26.5.2000, VIII ZR 111/02 vom 5.2.2003 und XI ZR 78/08 vom 15.7.2009 darauf zurück.

 

 

2.3.2 III ZR 287/97 vom 2.7.1998 zur Tarifreform 1996 der Deutschen Telekom

Das BGH-Urteil III ZR 287/97 vom 2.7.1998, zugleich NJW 1998, 3188 – 3192, beschäftigt sich mit der sogenannten „Tarifreform 1996“ der Deutschen Telekom AG. Der Kläger hielt die zum 1.1.1996 einseitig vorgenommenen Tariferhöhungen für sittenwidrig im Sinne des § 138 BGB, jedenfalls aber für unbillig im Sinne des § 315 BGB. In seiner Erörterung zur Billigkeit äußerte sich der III. Zivilsenat des BGH auch zu Strompreisen. Laut der Urteilsgründe in Abschnitt II 2. a) unter juris-Randnummer 58 ist „die richterliche Billigkeitskontrolle einseitig vorgenommener Entgeltbestimmungen von Unternehmen, die Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, grundsätzlich nicht schon dann ausgeschlossen, wenn bei der Festsetzung der Tarife und Entgelte öffentlichrechtliche Vorgaben, zu denen auch behördliche Genehmigungsvorbehalte gehören, zu beachten sind.

 

Das Urteil erklärt weiter, dass Tarife bzw. Tarifbestandteile von Elektrizitätsunternehmen nach § 12a I BTOElt Höchstpreise sind und nur mit Genehmigung der zuständigen Behörde angehoben werden dürfen. Die öffentlich-rechtliche Wirkung einer Genehmigung beschränkt sich auf das Verhältnis der Behörde zum Genehmigungsempfänger und lässt „im übrigen der privatautonomen erwerbswirtschaftlichen Entscheidungsbefugnis der Vertragspartner freien Raum.“ (juris-Randnummer 59) Die behördliche Genehmigung nach § 12 a BTOElt erlaubt dem Elektrizitätsunternehmen lediglich eine Erhöhung der Tarife, es bleibt aber dem Unternehmen überlassen, „ob es von dieser Möglichkeit Gebrauch macht.“ (juris-Randnummer 60) Damit legen Energieversorger die Strompreise in der Grundversorgung, die Allgemeinen Stromtarife, trotz der behördlichen Genehmigung einseitig fest und unterliegen der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB.

 

 

2.3.3 VII ZR 165/05 vom 11.1.2007 zu Werklohn für Außenanlagen

Im Verfahren VII ZR 165/05 verlangt der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen der Auftragnehmerin, restlichen Werklohn für Außenanlagen zu 23 Einfamilienhäusern. Die Beklagte hat für Bodenaushub und dessen Abtransport eine Schlussrechnung erhalten und diese vollständig bezahlt. Danach beanstandete die Beklagte jedoch, 2.026,5 m³ Bodenaushub mit Abtransport seien doppelt in Ansatz gebracht worden und dadurch ein Teilbetrag in Höhe von 29.115,33 € zweimal gezahlt worden. Der Kläger sieht ein deklaratorisches Anerkenntnis darin, dass die Beklagte die Rechnung geprüft und beanstandungslos gezahlt habe.

 

Nach Auffassung des VII. BGH-Zivilsenats ist jedoch mit der bloßen Zahlung kein Anerkenntnis der Rechnung und der Preisforderung verbunden. Das Leitsatzurteil VII  ZR 165/05 vom 11.1.2007 führt in den Randnummern 8 und 9 der Urteilsgründe aus:

Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, gelegentlich auch ‚bestätigendes’ Schuldanerkenntnis genannt, ist ein vertragliches kausales Anerkenntnis (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 1994 - VII ZR 215/93 - BauR 1995, 232, 234 = NJW 1995, 960). Ein solches Schuldanerkenntnis setzt voraus, dass die Vertragsparteien das Schuldverhältnis ganz oder teilweise dem Streit oder der Ungewissheit der Parteien entziehen wollen und sich dahingehend einigen (BGH aaO sowie Urteil vom 11. Juli 1995 - X ZR 42/93 - NJW 1995, 3311 = ZIP 1995, 1420; Urteil vom 29. April 1999 - VII ZR 248/98 - BauR 1999, 1021 = ZfBR 1999, 310; Urteil vom 6. Dezember 2001 - VII ZR 241/00 - BauR 2002, 613 = ZfBR 2002, 345 = NZBau 2002, 338; st. Rspr.). Die erforderliche Einigung kann nur angenommen werden, wenn sich ein entsprechendes Angebot sowie dessen Annahme feststellen lassen.

Die Prüfung einer Rechnung, die Bezahlung einer Rechnung oder auch die Bezahlung nach Prüfung erlauben für sich genommen nicht, ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis anzunehmen (vgl. bereits BGH, Urteil vom 8. März 1979 - VII ZR 35/78 - BauR 1979, 249, 251).

 

Bezogen auf die Grundversorgung mit Energie lässt sich mit dem Leitsatz des Urteils VII ZR 165/07 festhalten: „Allein die Zahlung des Werklohns auf eine geprüfte Rechnung rechtfertigt nicht die Annahme eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses.“ Der Rechnungsbetrag einer Energierechnung ist dem Grunde nach geschuldet, was der Tarifkunde mit Zahlung der Rechnung auch bestätigt. Die Zahlung der Rechnung ist jedoch kein Beleg dafür, dass bei Vertragsabschluss eine Preisvereinbarung getroffen wurde und deshalb der Rechnungsbetrag auch der Höhe nach geschuldet wäre.

 

 

2.3.4 XI ZR 55/08 und XI ZR 78/08 vom 21.4.2009 zu Preisklauseln von Sparkassen

In der Pressemitteilung vom 21.4.2009 zu den beiden Urteilen XI ZR 55/08 und XI ZR 78/08 teilt der BGH mit:

Der u. a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Verbandsklagen eines Verbraucherschutzverbandes gegen zwei Sparkassen entschieden, dass folgende Klausel, die Nr. 17 Abs. 2 Satz 1 AGB-Sparkassen nachgebildet ist, im Bankverkehr mit Privatkunden (Verbrauchern) nicht verwendet werden darf, weil sie diese unangemessen benachteiligt und deswegen nach § 307 BGB unwirksam ist:

 

Nr. 17 – Entgelte, Kosten und Auslagen

(…)

(2) Festsetzung und Ausweis der Entgelte

Soweit nichts anderes vereinbart ist, werden die Entgelte im Privat- und Geschäftskundenbereich von der Sparkasse unter Berücksichtigung der Marktlage (z.B. Veränderung des allgemeinen Zinsniveaus) und des Aufwandes nach gemäß § 315 des Bürgerlichen Gesetzbuches nachprüfbarem billigen Ermessen festgelegt und geändert.

 

Dies ist zugleich der 1. Leitsatz des Urteils XI ZR 78/08. Zur Begründung führt der XI. Zivilsenat des BGH in Randnummer 25 zum Urteil XI ZR 78/08 im Hinblick auf die strittige Preisanpassungsklausel aus: „Eine den Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben benachteiligenden Inhalt haben sie weiterhin dann, wenn sie nur das Recht des Klauselverwenders enthalten, Erhöhungen ihrer eigenen Kosten an ihre Kunden weiterzugeben, nicht aber auch die Verpflichtung, bei gesunkenen eigenen Kosten den Preis für die Kunden zu senken (BGHZ 176, 244, Tz. 17; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Recht, 4. Aufl., § 11 Nr. 1 Rn. 51; Borges, DB 2006, 1199, 1203; von der Linden, WM 2008, 195, 197).“ Im 3. Leitsatz des Urteils XI ZR 78/08 fasst der XI. Zivilsenat des BGH seine Begründung zusammen: „Das in der Klausel enthaltene einseitige Preisänderungsrecht benachteiligt die Sparkassenkunden deswegen unangemessen, weil die Änderungsvoraussetzungen unklar sind und die Klausel keine eindeutige Pflicht der Sparkasse zur Herabsetzung der Entgelte bei sinkenden Kosten enthält und es der Sparkasse damit ermöglicht, das ursprünglich vereinbarte vertragliche Äquivalenzverhältnis zu ihren Gunsten zu verändern.

 

In Randnummer 38 des Urteils XI ZR 78/08 vom 21.4.2009 wird das noch ausführlicher wie folgt erklärt: „Lässt eine Preis- und Zinsänderungsklausel weiter den Kunden darüber im Unklaren, ob und in welchem Umfang das Kreditinstitut zu einer Anpassung berechtigt oder zu seinen Gunsten verpflichtet ist, läuft auch die dem Kunden eingeräumte Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle weitgehend leer. Kommt es erst gar nicht zu einer gebotenen Herabsetzung des Preises oder Zinssatzes, versagt sie für gewöhnlich, weil der Kunde mangels hinreichenden Anhalts schon eine solche Verpflichtung des Verwenders zumeist nicht zu erkennen vermag. Erfolgt eine Preis- oder Zinsanpassung zu seinen Ungunsten, fehlt ihm die Beurteilungsgrundlage, ob sich die Anpassung im Rahmen des der Bank zustehenden Gestaltungsspielraumes bewegt oder ein Verfahren nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB mit Erfolg betrieben werden kann (Habersack, WM 2001, 753, 757).

 

Für die Preissockel-Theorie ist diese Begründung des XI. Zivilsenats von extrem großer Bedeutung. Denn mit der Argumentation des XI. Zivilsenats wird der Preissockel von Energiepreisen für einen Verbraucher z. B. dann in der Billigkeitsprüfung angreifbar, wenn es zu starken Kostensenkungen und damit zu extremer Unbilligkeit im Sinne von § 315 BGB kommt. Der Kunde verfügt mangels Kenntnis der Kostenentwicklung über keinerlei Anhaltspunkte, ob und in welchem Umfang der Preis hätte gesenkt werden müssen. Durch seine Unwissenheit fehlt dem Energieverbraucher sogar die Grundlage dafür zu beurteilen, ob ein Verfahren nach § 315 Abs. 3 BGB erfolgversprechend ist. Daraus resultiert, dass der Kunde einen zeitlich unbefristeten Anspruch auf Neuberechnung der Energiepreise hat. Dem Anspruch kann das Versorgungsunternehmen insbesondere auch keinen Verjährungseinwand entgegensetzen, wonach der Bereicherungsanspruch des Kunden aus der Geschäftsbeziehung verjährt sei. Denn die Verjährung setzt die Kenntnis eines Bereicherungsanspruchs voraus, die in der Energieversorgung wie im Falle der Zinsen und Entgelte von Sparkassen einfach fehlt.

 

 


 

3. Wortlaut und Zweck des § 315 BGB

 

In diesem Abschnitt soll untersucht werden, inwieweit sich die Preissockel-Theorie mit Wortlaut und Zweck des § 315 BGB vereinbaren lässt. Es soll erklärt werden, wie der Berliner Rechtsprofessor Dr. Hans-Peter Schwintowski auf Seite 11 in seinem Rechtsgutachten vom 4.3.2005 zu dem Fazit gelangt, „dass § 315 Abs. 1 BGB weder nach Wortlaut, noch nach dem Willen des historischen Gesetzgebers, noch nach seiner systematischen Stellung und nach seinem Sinn und Zweck künstlich in eine vor Vertragsschluss und in eine nach Vertragsschluss liegende Anwendungsphase aufzuteilen ist. Vielmehr umfasst die Norm Vertragsverhältnisse in ihrer Gesamtheit und damit von der Anbahnungsphase über den Vertragsschluss bis zur Abwicklungsphase.

 

 

3.1 Wortlaut

Die zivilrechtliche Billigkeitskontrolle erstreckt sich in der Praxis auf viele Bereiche außerhalb der Energieversorgung und der Daseinsvorsorge, z. B. auf Versicherungen, Bankgeschäfte, Flughafenbenutzungsgebühren, Zeitungs-Abonnements und Kabel-TV-Gebühren. Selbst Miethöhen und - im Hinblick auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers - der Arbeitsmarkt unterliegen der Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB. Die Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB setzt nur ein Recht zur einseitigen Leistungsbestimmung voraus und ist an keine Marktbeherrschung oder Monopolsituation gebunden. Der Gesetzestext zu „§ 315 Bestimmung der Leistung durch eine Partei“ im BGB lautet:

 

(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.

(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.

 

In einem Rechtsgutachten vom 4.3.2005 hat sich Professor Dr. Hans-Peter Schwintowski mit der „Frage der Anwendbarkeit der §§ 315, 316 BGB auf die Bestimmung von Netznutzungsentgelten“ beschäftigt. Darin heißt es auf Seite 8: „Der Wortlaut des § 315 Abs. 1 BGB stellt darauf ab, dass die Leistung ‚durch einen der Vertragsschließenden bestimmt werden soll’. Damit ist einerseits der Fall gemeint, dass ein Vertrag bereits geschlossen ist, aber andererseits auch der Fall umfasst, dass die Leistung durch einen der den Vertrag gerade Schließenden bestimmt werden soll. Soweit die Essentialia Negotii unbestimmt sind – insbesondere wie hier die Hauptleistungspflichten – geht es bereits um die Bestimmtheit des Angebotes: § 315 erlaubt es dem Verkäufer oder Käufer, bei dem Angebot den Kaufpreis offen zu lassen und statt dessen eine Leistungsbestimmung vorzuschlagen. Der Wortlaut der Norm umfasst folglich auch die Vertragsanbahnungsphase und vermeidet auf diese Weise eine künstliche Aufspaltung des Vertrages in die Zeit des rechtsgeschäftlichen Kontaktes bis zum Vertragsabschluss einerseits und in die Zeit nach Vertragsabschluss andererseits.

 

Im Hinblick auf die Preissockel-Theorie sind folgende Gesichtspunkte hervorzuheben:

1.      Der reine Wortlaut von § 315 BGB beinhaltet keine Aufspaltung des Gesamtpreises in einen Preissockel und spätere Preiserhöhungen. Nach dem Gesetzestext kann der Unbilligkeitseinwand den gesamten, einseitig festgesetzten Preis treffen.

2.      Dem Gesetzestext ist nicht zu entnehmen, zu welchem Zeitpunkt ein Unbilligkeitseinwand erhoben werden darf oder erhoben werden muss. Insbesondere ist im Gesetz nicht erkennbar, dass der Gesamtpreis oder ein Teil davon als vertraglich „vereinbart“ im Sinne von §§ 145 ff. BGB gilt, falls der Preisforderung nicht innerhalb bestimmter Fristen widersprochen wurde.

 

 

3.2 Historie und Motive des Gesetzgebers

Die nach § 315 BGB bestimmungsberechtigte Partei ist verpflichtet, eine der Billigkeit entsprechende Ermessensentscheidung zu treffen. Bei „Benno Mugdan: Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, II. Band, Recht der Schuldverhältnisse“ findet sich auf den Seiten 105–106 eine Dokumentation der Motive des Gesetzgebers zu § 315 BGB, der im ursprünglichen Gesetzentwurf noch als § 353 nummeriert war. Im Folgenden wird aus dieser Quelle zitiert nach http://www.baurechtsexperte.de/315-bgb-motive-des-gesetzgebers-db30504.html:

 

Die Bestimmung der Leistung kann nicht der Willkür des Schuldners überlassen werden. Es fehlte solchenfalls an der Verpflichtung des Schuldners, einem Essentiale des Vertrages. Wohl aber kann durch den Vertrag die Bestimmung einer Vertragsleistung auf das Ermessen eines der Kontrahenten gestellt werden.

Im Interesse der Aufrechthaltung derartiger Verträge und der vermuthlichen Parteiintention entsprechend stellt der § 315 Abs. 1 die Interpretationsregel auf, daß, falls nach dem Inhalte des Vertrages eine Leistung von einem der Vertragschließenden bestimmt werden soll, er die Bestimmung nach billigem Ermessen (arbitrium boni viri) zu treffen habe.

 

Aus der zitierten Gesetzesbegründung folgt, dass der Gesetzgeber bereits die Vertragsanbahnung in den Regelungsbereich des heutigen § 315 Abs. 1 BGB mit einbezogen hat. In seinem Rechtsgutachten vom 4.3.2005 kommentiert Professor Schwintowski auf Seite 9 die Gesetzesbegründung weiter: „Denn andernfalls würde es in diesem Stadium des sich anbahnenden Vertragsschlusses an einer Bestimmung der Leistung durch den Gläubiger, und damit an einem Essentiale des Vertrages, fehlen und somit der Vertrag insgesamt nicht zustande kommen. Genau so war es im später gestrichenen § 352 BGB, der den heutigen § 315 ff. BGB als Einleitung voran ging auch noch geregelt: ‚Ist die Leistung, welche den Gegenstand des Vertrages bilden soll weder bestimmt bezeichnet noch nach den im Vertrage enthaltenen Bestimmungen zu ermitteln, so ist der Vertrag nichtig’. Entscheidend ist, dass die Leistung, die zukünftig den Gegenstand des Vertrages bilden soll, bestimmt sein muss. Damit ist die Vertragsanbahnungsphase gemeint, denn in dieser Phase entscheidet sich, ob die Leistung nach Art und Umfang, sowie Grund und Höhe auf einen hinreichend bestimmbaren Parteiwillen verweist, oder ob demgegenüber ein versteckter Dissens (§ 154 BGB) vorliegt.“

 

 

3.3 Umgehungsverbot

Nach dem Rechtsgutachten von Professor Schwintowski vom 4.3.2005, Seite 10, würde die künstliche Abspaltung der Vertragsanbahnungsphase dem Schuldner die Möglichkeit eröffnen, sich durch Vorverlegung der einseitigen Leistungsbestimmung der Billigkeitskontrolle zu entziehen und damit das Umgehungsverbot zu verletzen, das sich heute z. B. in § 306 a BGB oder in § 506 BGB findet. Das begründet Professor Schwintowski wie folgt: „Schließlich waren aber die von Jhering bereits im Jahre 1861 entwickelten Grundsätze zu vorvertraglichen Schuldverhältnissen (culpa in contrahendo) bei In-Kraft-Treten des BGB anerkannt. Der Gesetzgeber hat sie mit der Schuldrechtsreform seit dem 1. Januar 2002 erstmals im BGB ausdrücklich kodifiziert (§ 311 Abs. 1 BGB). Auf sich anbahnende Schuldverhältnisse waren und sind die für Schuldverhältnisse geltenden Regeln des BGB unmittelbar und unverkürzt anwendbar.

 

Die „culpa in contrahendo“, zu Deutsch das Verschulden bei Vertragsschluss, oft auch c.i.c. abgekürzt, bezeichnet die schuldhafte Verletzung von Pflichten aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis. Seit der Schuldrechtsmodernisierung am 1.1.2002 ist die „culpa in contrahendo“ als Rechtsinstitut gesetzlich im BGB geregelt, und zwar durch § 311 Abs. 2 in Verbindung mit § 280 Abs. 1 und § 241 Abs. 2 BGB.

 

Auch aus dieser Überlegung von Professor Schwintowski folgt, dass § 315 Abs. 1 BGB keinesfalls in eine Vertragsanbahnungsphase und in eine Zeit nach dem eigentlichen Vertragsschluss aufgespalten werden kann.

 

 

3.4 Festsetzung und Veröffentlichung von Gesamtpreisen

Eine Erhöhung von Energiepreisen wird üblicherweise nicht in Form eines Zuschlages auf den bisherigen Tarif definiert, sondern es wird der Gesamtpreis neu bestimmt und als einheitliches Ganzes öffentlich bekannt gemacht. Energieversorger veröffentlichen über die Lokalpresse, Aushänge oder im Internet ihre jeweils gültigen Preisblätter. Nach den AGB ist das jeweils veröffentlichte Preisblatt gültig, und zwar so lange, bis ein anderes Preisblatt durch Veröffentlichung in Kraft tritt. Seit ein paar Jahren informieren manche Versorger ihre Kunden mit einem persönlichen Brief über ihre einseitig vorgenommen Preisänderungen.

Professor Schwintowski führt in seinem bereits zitierten Rechtsgutachten zu Netznutzungsentgelten vom 4.3.2005 auf Seite 10 aus: „Diese, aus der Gesetzgebungs- und Verordnungssprache entlehnte, Wortwahl belegt, dass derjenige, der beabsichtigt, einen Netznutzungsvertrag zu schließen, die jeweils gültigen Preise aus dem Preisblatt entnehmen kann und muss. Die Bestimmung des Preises erfolgt über dieses Preisblatt durch den Netzbetreiber, und zwar sowohl vor Vertragsschluss als auch in der Anbahnungsphase und fortwirkend sodann nach Vertragsschluss. Für die Zeit nach dem Vertragsschluss behält sich der Netzbetreiber vertraglich das Recht vor, das jeweils gültige Preisblatt zu ändern und durch ein neues, danach gültiges, zu ersetzen.

 

Diejenigen, die meinen, dass § 315 Abs. 1 BGB nur auf solche Leistungsbestimmungsrechte anzuwenden ist, die nach Vertragsschluss ausgeübt werden, würden die Norm auf dieses Leistungsbestimmungsrecht des Netzbetreibers anzuwenden haben. Mit Blick auf das bei Vertragsschluss gültige Preisblatt, hätten die Vertreter dieser Auffassung nun allerdings ein Problem – dieses Preisblatt würde nämlich nicht unter den Anwendungsbereich des § 315 Abs. 1 BGB fallen. Ein Teil der Preisbestimmung würde folglich der Billigkeitskontrolle unterworfen sein, ein anderer - davor liegender Teil – hingegen nicht. Dies wäre ein völlig willkürliches und weder vom Wortlaut der Norm, noch von seinem Sinn und Zweck gedecktes Ergebnis. Es würde im Übrigen – worauf die Motive zu Recht hinweisen – dazu führen, dass der Vertrag als Ganzes nicht zu Stande kommt, weil es an einer Leistungsbestimmung durch den Gläubiger (Netznutzer/Händler) vor Vertragsschluss und somit am hinreichend bestimmten Willen für einen darauf aufbauenden Konsens fehlt.

 

Auch Prof. Dr. Meinrad Dreher kommt in seinem Beitrag „Die richterliche Billigkeitsprüfung gemäß § 315 BGB bei einseitigen Preiserhöhungen aufgrund von Preisanpassungsklauseln in der Energiewirtschaft“ in ZNER, Heft 2/2007, auf Seite 104 zu dem Ergebnis: „Der Zusatz, dass das für die zeitpunktbezogene Entgeltberechnung maßgebliche Preisblatt ‚in seiner jeweils geltenden Fassung’ heranzuziehen sei, offenbart das Recht des Netzbetreibers, durch Änderung des Preisblatts das geschuldete Entgelt künftig einseitig zu erhöhen.

 

 

3.5 Keine Tarifvereinbarung

Energieverbraucher in der Grundversorgung bestreiten die „Vereinbarung“ eines Tarifs. Die Festlegung des Gesamtpreises ist eine Willenserklärung des Versorgungsunternehmens und wurde gemäß § 315 Abs. 2 BGB als unwiderrufliche Bestimmung getroffen, deren Wirksamkeit gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB allein davon abhängt, ob sie der Billigkeit entspricht oder nicht. Bei der Willenserklärung seitens des Energieversorgers handelt es sich nicht um ein annahmefähiges Angebot im Sinne von § 145 BGB. Die Willenserklärung des Versorgers nach § 315 Abs. 2 BGB folgt völlig anderen Regeln als eine „Einigung“ oder „Vereinbarung“ nach den §§ 145 ff. BGB. Insbesondere der Preissockel von Energiepreisen ist als Ergebnis einer einseitigen Bestimmung und nicht als Produkt zweiseitiger Verhandlungen anzusehen.

 

Nach § 10 Abs. 1 EnWG 1998 unterliegen Energieversorgungsunternehmen für Gemeindegebiete, in denen sie die allgemeine Versorgung von Letztverbrauchern durchführen, einer „Allgemeinen Anschluß- und Versorgungspflicht“. Die Unternehmen müssen als Grundversorger Allgemeine Bedingungen und Allgemeine Tarife für die Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck öffentlich bekanntgeben und zu diesen Bedingungen und Tarifen jedermann an ihr Versorgungsnetz anschließen und versorgen. Im heute gültigen EnWG 2005 ist diese Grundversorgungspflicht als § 36 Absatz 1 vorgeschrieben. Die „Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (Fundstelle: BGBl I 1979, 684)“, kurz AVBEltV, galt bis zu ihrer Ablösung durch die Stromgrundversorgungsverordnung StromGVV am 8.11.2006. Die AVBEltV fordert in § 4 Abs. 1 zur „Art der Versorgung“ bzw. die StromGVV in § 6 Abs. 1, dass das Elektrizitätsversorgungsunternehmen Strom „zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen“ zur Verfügung stellt. Des Weiteren werden nach § 4 Abs. 2 AVBEltV „Änderungen der allgemeinen Tarife und Bestimmungen erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam“. Ähnlich ist es in § 5 Absatz 2 der heute gültigen StromGVV geregelt, wobei der Grundversorger verpflichtet ist, „zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen.

 

Eine ähnliche Rechtslage wie für Strom besteht für Erdgas. Die „Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (Fundstelle: BGBl I 1979, 676)“, kurz AVBGasV, galt bis zu ihrer Ablösung durch die Gasgrundversorgungsverordnung GasGVV am 8.11.2006. Die AVBGasV fordert in § 4 Abs. 1 zur „Art der Erzeugung“ bzw. die GasGVV in § 6 Abs. 1, dass das Gasversorgungsunternehmen in der Grundversorgung Gas „zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen“ zur Verfügung stellt. Des Weiteren werden nach § 4 Abs. 2 AVBGasV „Änderungen der allgemeinen Tarife und Bestimmungen erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam“. Ähnlich ist es in § 5 Absatz 2 der heute gültigen GasGVV geregelt, wobei der Grundversorger verpflichtet ist, „zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen.

 

Weder die Formulierungen der AVBeltV bzw. StromGVV noch die Formulierungen der AVBGasV bzw. GasGVV beinhalten ein gesetzliches Preisänderungsrecht des Grundversorgers, sondern sie setzen ein solches Recht vielmehr voraus. So hat es das OLG Oldenburg in seinem Urteil 12 U 49/07 vom 5.9.2008 ausführlich hergeleitet, vgl. z. B. Seite 386 – 388 in der Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER), Heft 4/2008, unter http://www.ponte-press.de/pdf/U9_200804.pdf oder direkt unter http://app.olg-ol.niedersachsen.de/efundus/volltext.php4?id=4808&ident. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, hat das OLG Oldenburg den Wortlaut des § 4 Abs. 1 AVBGasV betrachtet, hat § 7 des EnWG 1935 als die Ermächtigungsgrundlage der AVBGasV und die damalige Gesetzesbegründung analysiert und auch die Entwicklung des Preisrechts zur Gasversorgung bis 1980 eingehend untersucht. Das Preisanpassungsrecht des Versorgers wird nach dem Urteil 12 U 49/07 vom 5.9.2008 rechtshistorisch als eine Befugnis angesehen, die sich „aus der Natur der Sache“ ergibt.

 

Das Energieversorgungsunternehmen legt einseitig die Tarife fest, ohne darüber mit Kunden zu verhandeln und etwas zu vereinbaren, und teilt den Kunden das Ergebnis der Preisfestlegung mit. Zu welchen Zeitpunkten und in welchem Umfang die Tarife geändert werden, bestimmt allein der Energieversorger. Unter diesen Bedingungen können sich Kunden und Versorger nicht im Sinne von § 145 BGB – § 157 BGB verbindlich geeinigt haben. Gerade in Bezug auf den Preis liegt ein offener Einigungsmangel vor, so dass der Vertrag nach § 154 Abs. 1 BGB als „nicht geschlossen“ gilt, wenn man nicht ein Recht zur einseitigen Leistungsbestimmung voraussetzt.

 

In dem BGH-Urteil KZR 24/04 vom 7.2.2006 klagte die Stadtwerke Lippstadt GmbH gegen ein regionales Stromversorgungsunternehmen aus dem RWE-Konzern wegen des Kaufpreises für das Stromversorgungsnetz sowie die Straßenbeleuchtungsanlagen in der Stadt Lippstadt. Der 1. Leitsatz 1 des Urteils vom 7.2.2006 lautet: „Wird bei den Verhandlungen über den Abschluss eines Kaufvertrages keine Einigung über die Höhe des Kaufpreises erzielt, so kommt - vorbehaltlich eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts - ein Kaufvertrag wegen dieses Einigungsmangels nicht wirksam zustande. Für eine Bestimmung des Kaufpreises durch ergänzende Vertragsauslegung ist dann kein Raum.“

 

Auch wenn sich Verbraucher und Energieanbieter in der Grundversorgung nicht auf einen konkreten Preis geeinigt haben, kommt trotzdem ein Grundversorgungsvertrag wirksam zustande. Denn der Grundversorger setzt einseitig auf Basis eines gesetzlichen Leistungsbestimmungsrechts den Allgemeinen Tarif fest. Der bloße Leistungsbezug begründet zwar ein Vertragsverhältnis, aber er schließt nicht zwangsläufig auch die Einigung auf den vom Lieferanten geforderten Preis ein. Die Konstruktion des VIII. Zivilsenats in seinem Urteil VIII ZR 138/07 widerspricht „den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre“. So formuliert es Professor Dr. Kurt Markert in seinen Anmerkungen zum BGH-Urteil vom 19.11.2008 zur Billigkeitskontrolle von Gaspreisen, die in der Zeitschrift Recht der Energiewirtschaft (RdE), Heft 2/2009, auf Seite 61 – 63 zu finden sind. Professor Markert erläutert das in Fußnote 8 seiner Anmerkungen: „Die in Ausübung eines einseitigen Preisbestimmungsrechts abgegebene Gestaltungserklärung ist, sofern der dadurch erhöhte Preis billigem Ermessen i.S. von § 315 BGB entspricht, für den Kunden unmittelbar verbindlich, ohne dass es auf dessen ausdrückliche oder konkludente Annahmeerklärung ankommt.

 

 

3.6 energie-, kartell- und kommunalrechtliche Vorgaben

Einseitig festgesetzte Energiepreise unterliegen nicht nur den allgemeinen Billigkeitsvorgaben des § 315 BGB wie die einseitig bestimmten Preise beliebiger anderer Produkte und Dienstleistungen. Vielmehr muss der Gesamtpreis von Energie und speziell der Preissockel zahlreichen anderen gesetzlichen Vorgaben genügen, soweit es sich um Preise eines Energieversorgungsversorgungsunternehmens mit einer marktbeherrschenden Stellung handelt oder um ein Unternehmen, an dem eine Kommune wesentlich beteiligt ist. Energiewirtschaftliche, kartell- und kommunalrechtliche Vorgaben schließen den § 315 BGB nicht aus und verdrängen ihn nicht, vielmehr konkretisieren sie den allgemeinen Maßstab des „billigen Ermessens“ aus § 315 BGB. Insbesondere müssen Energiepreise jederzeit die genannten Vorschriften erfüllen, und zwar unabhängig davon, ob der Energieversorger gerade seine Preise geändert hat oder nicht. Sollten die genannten Vorschriften zutreffen und auch nur eine einzige davon verletzt sein, dann wird der Energieliefervertrag nach § 134 BGB nichtig und die Preisforderung zumindest hinsichtlich der Überhöhung unbillig. Mit dem Verhältnis der verschiedenen Vorschriften untereinander befasst sich ausführlich Prof. Dr. Meinrad Dreher in seinem bereits zitierten Aufsatz zur richterlichen Billigkeitsprüfung gemäß § 315 BGB in ZNER, Heft 2/2007, Seite 103 – 114.

 

 

3.6.1 Preisgünstigkeit aus § 1 EnWG und § 2 EnWG

§ 1 und § 2 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) verpflichten alle Energieversorgungsunternehmen, die Allgemeinheit möglichst sicher, preisgünstig, verbraucherfreundlich, effizient und umweltverträglich mit Elektrizität und Gas leitungsgebunden zu versorgen. Im Hinblick auf die Preisgestaltung kommt der Vorgabe der „Preisgünstigkeit“ eine besondere Bedeutung zu. Im Unterschied zu anderen Wirtschaftszweigen dürfen Energiepreise gerade nicht beliebig hoch angesetzt werden, sondern müssen „preisgünstig“ sein. § 1 und § 2 EnWG definieren eine Effizienzverpflichtung der Energieversorger. Energieversorger müssen unnötige Kosten wie z. B. überhöhte Bezugskosten vermeiden, indem sie günstigere Beschaffungsmöglichkeiten nutzen. Das hält sogar der VIII. Zivilsenat des BGH in seinem Urteil VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008 in Randnummer 43 fest.

 

 

3.6.2 Preismissbrauch aus § 19 GWB und § 29 GWB

In den meisten Fällen werden Energieverbraucher nicht von irgendwelchen Energieversorgungsunternehmen beliefert, sondern von Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung. Solche Unternehmen unterliegen dem § 19 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), der ganz allgemein den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen verbietet. Insbesondere sind nach § 19 Absatz 4 GWB verboten:

·          Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; hierbei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen;

·          ungünstigere Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen, als sie das marktbeherrschende Unternehmen selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordert, es sei denn, dass der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist.

 

Speziell für Energieversorgungsunternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung wurde § 19 GWB sogar noch verschärft, und zwar durch den § 29 GWB. § 29 GWB zur Energiewirtschaft wurde mit dem „Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels“ am 18.12.2007 in das GWB eingefügt und gilt gemäß § 131 Abs. 7 GWB bis einschließlich 31.12.2012. Der Gesetzestext von § 29 GWB lautet:

Einem Unternehmen ist es verboten, als Anbieter von Elektrizität oder leitungsgebundenem Gas (Versorgungsunternehmen) auf einem Markt, auf dem es allein oder zusammen mit anderen Versorgungsunternehmen eine marktbeherrschende Stellung hat, diese Stellung missbräuchlich auszunutzen, indem es

1.      Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die ungünstiger sind als diejenigen anderer Versorgungsunternehmen oder von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten, es sei denn, das Versorgungsunternehmen weist nach, dass die Abweichung sachlich gerechtfertigt ist, wobei die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast nur in Verfahren vor den Kartellbehörden gilt, oder

2.      Entgelte fordert, die die Kosten in unangemessener Weise überschreiten

Kosten, die sich ihrem Umfang nach im Wettbewerb nicht einstellen würden, dürfen bei der Feststellung eines Missbrauchs im Sinne des Satzes 1 nicht berücksichtigt werden. Die §§ 19 und 20 bleiben unberührt.

 

Während § 29 Nr. 1 GWB wettbewerbsanaloge Energiepreise fordert, verbietet § 29 Nr. 2 GWB unangemessene Kostenüberschreitungen. Doch selbst ohne eine marktbeherrschende Stellung greift das Kartellrecht zum Schutz der Energieverbraucher ein. So sind u. a. Preisabsprachen und Gebietsabsprachen zwischen miteinander konkurrierenden Unternehmen nach § 1 GWB verboten, denn sie verhindern, verfälschen oder beeinträchtigen den Wettbewerb zu Lasten der Verbraucher.

 

 

3.6.3 kommunalrechtliche Vorschriften

Regionale Energieversorgungsunternehmen gehören häufig zu einem wesentlichen Anteil einer Stadt oder Gemeinde. In einem solchen Fall schränken auch kommunalrechtliche Vorgaben das unternehmerische Ermessen bei der Preisgestaltung ein, weil die Gemeindeordnungen der Bundesländer überhöhte Gewinne verbieten.

 

Z. B. entsprechen nach Artikel 87 Absatz 1 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern alle „Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche, mit denen die Gemeinde oder ihre Unternehmen an dem vom Wettbewerb beherrschten Wirtschaftsleben teilnehmen, um Gewinn zu erzielen“, keinem öffentlichen Zweck. Das bayerische Kommunalabgabengesetz sieht in Artikel 8 zu den Benutzungsgebühren auch keine Gewinnerzielung vor. Vielmehr soll nach Absatz 2 von Artikel 8 des Kommunalabgabengesetzes das Gebührenaufkommen „die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten einschließlich der Kosten für die Ermittlung und Anforderung von einrichtungsbezogenen Abgaben decken.“ Nach Absatz 3 von Artikel 8 des Kommunalabgabengesetzes gehören zu den Kosten „insbesondere angemessene Abschreibungen von den Anschaffungs- und Herstellungskosten und eine angemessene Verzinsung des Anlagekapitals.“ Die bayerische Eigenbetriebsverordnung sieht in § 8 zu „Gewinn und Verlust“ vor, dass der Jahresgewinn des Eigenbetriebs so hoch sein soll, dass neben angemessenen Rücklagen „mindestens eine marktübliche Verzinsung des Eigenkapitals erwirtschaftet wird“. Damit verbieten sich Eigenkapitalrenditen oberhalb der Zinssätze für Kommunalkredite.

 

Im Extremfall verstoßen überhöhte Energiepreise sogar gegen Verfassungsrecht. Dieser Fall tritt ein, wenn in kommunalen Versorgungsbetrieben extreme Gewinne aus dem Energiegeschäft dazu benutzt werden, im Interesse der Kommune oder im Interesse einzelner Politiker hohe Defizite außerhalb der Energieversorgung z. B. im öffentlichen Nahverkehr oder beim Betrieb öffentlicher Schwimmbäder zu decken. Mit dieser Quersubventionierung befasst sich ausführlich der Beitrag „Verfassungswidrigkeit der Quersubventionierung von öffentlichen Aufgaben durch überhöhte Energiepreise“ vom November 2008 unter http://www.cleanstate.de/Energiepreise.html.

 

 


 

4. Logische Widersprüche

 

Durch die Preissockel-Theorie verliert der absolute Preis die Eigenschaft, billig oder unbillig zu sein. Die Billigkeit eines Preises wird zu einer relativen Größe, die von einem kundenindividuellen Äquivalenzverhältnis zwischen Preishöhe und Leistung abhängt, vgl. Abschnitte 4.1 und 4.2. Daraus ergeben sich unauflösbare logische Widersprüche, die letztlich der gesamten Preissockel-Theorie den Boden entziehen. Speziell der Fall sinkender Gesamtkosten offenbart, wie unhaltbar die Auffassung des VIII. Zivilsenats ist, der Preissockel unterliege keiner Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB. Das belegen die Abschnitte 4.3 und 4.4.

 

 

4.1 Relativität des Billigkeitsbegriffes

Die nicht zu prüfende Billigkeit des Preissockels führt zu unhaltbaren Widersprüchen in Bezug auf die Billigkeit. Denn nach allgemeinem Verständnis ist der „Preis an sich“ billig oder unbillig, d. h. die absolute Entgelthöhe ist im Hinblick auf die erbrachte Leistung und die damit verbundenen Kosten zu beurteilen. Nach dem Verständnis der Versorgungsunternehmen und nach dem Verständnis des VIII. Zivilsenats am BGH ist die Billigkeit oder Unbilligkeit des Preises jedoch eine relative Größe, und zwar relativ zur Preishöhe bei Vertragsabschluss. Mit jeder Preisänderung oder mit jeder Vertragsänderung z. B. bei Umzug entstehen für Kunden in der Grundversorgung neue Preissockel. Diese Preissockel variieren auch noch im Zeitablauf für denselben Kunden, wenn er nicht der letzten Preisanpassung widersprochen hat. Ein Widerspruch des Kunden gegen die Preisbestimmung ist selbst im Falle von Preissenkungen nicht überflüssig, da die Preissenkung in Relation zur Kostenreduktion möglicherweise zu gering ausfällt.

 

Wie absurd eine relative Unbilligkeit des Preises ist, zeigt das folgende Beispiel mit zwei Gaskunden der Stadtwerke Würzburg, die sich beide in der Grundversorgung befinden. Kunde 1 hat seinen Vertrag bei den Stadtwerken im Oktober 2005 zum Arbeitspreis von 3,75 Cent/kWh netto abgeschlossen, während Kunde 2 seinen Vertrag im November 2005 zum Arbeitspreis von 4,10 Cent/kWh netto abschließt. Die Stadtwerke verändern ihren Gaspreis in der Grundversorgung wie folgt:

 

Monat

Arbeitspreis im Grundpreistarif II Allgemein
der Stadtwerke Würzburg
ohne MWSt., inkl. Erdgassteuer

 

Oktober 2005

3,75 Cent/kWh

- Kunde 1

November 2005

4,10 Cent/kWh

- Kunde 2

Dezember 2005

4,10 Cent/kWh

 

Januar 2006

4,60 Cent/kWh

 

 

Im Januar 2006 erhöhen die Stadtwerke für beide Tarifkunden den Arbeitspreis für Gas auf 4,60 Cent/kWh. Wenn nun Kunde 1 im Januar 2006 die Unbilligkeit nach § 315 BGB einwendet, bleibt nach Auffassung des VIII. Senats am BGH ein Preissockel von 3,75 Cent/kWh ungeprüft, während der Kunde 2 einen Preissockel von 4,10 Cent/kWh ohne jeglichen Nachweis der Billigkeit akzeptieren muss. Falls die Stadtwerke die Billigkeit der Preiserhöhungen weder zum 1.11.2005 noch zum 1.1.2006 nachweisen können, so müsste Kunde 1 nach der Preissockeltheorie weiter 3,75 Cent/kWh zahlen, während Kunde 2 als billigen Preis 4,10 Cent/kWh akzeptieren müsste.

 

Nach der Preissockel-Theorie wäre die Billigkeit eines Preises keine absolute Größe mehr, sondern abhängig vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses oder vom Zeitpunkt des Widerspruches gegen die letzte Preiserhöhung. Derselbe absolute Preis von z. B. 4,10 Cent/kWh für Erdgas könnte für den einen Kunden billig sein und für einen anderen Kunden unbillig. Das steht offensichtlich im logischen Widerspruch zum Billigkeitsbegriff im Sinne von § 315 BGB. Aus dem Billigkeitsbegriff wie auch aus der Preisgünstigkeits-Vorgabe der §§ 1,2 EnWG resultiert das Gebot, die beiden Beispiel-Kunden preislich gleich zu behandeln.

 

Die Preisdifferenzierung für die beiden obigen Kunden passt auch nicht zu dem kartellrechtlichen Diskriminierungsverbot aus § 19 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Laut § 19 Abs. 4 Nr. 2 und Nr. 3 GWB liegt ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung vor, wenn die Stadtwerke als regional marktbeherrschendes Unternehmen

·      Entgelte fordern, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden, oder

·      ungünstigere Entgelte fordern, als sie die Stadtwerke selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordern, es sei denn, dass der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist.

 

Schließlich vertragen sich die differenzierten Preise für die beiden Tarifkunden überhaupt nicht mit der Einheitlichkeit der Allgemeinen Preise in der Grundversorgung im Sinne von § 36 Abs. 1 EnWG.

 

 

4.2 kundenindividuelles Äquivalenzverhältnis

Der VIII. Zivilsenat des BGH nannte in seinem Urteil VIII ZR 138/07 in Randnummer 24 ein „Äquivalenzverhältnis“ zwischen Leistung und Gegenleistung, das im Preis zum Ausdruck kommt, vgl. auch Abschnitt 1.3. In Randnummer 25 der Entscheidung VIII ZR 138/07 fordert der VIII. Zivilsenat sogar: „Die Preisanpassung muss das vertragliche Äquivalenzverhältnis wahren, das heißt, der Lieferant darf sie nicht vornehmen, um einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen.

 

Die Tabelle aus Abschnitt 4.1 wird für den Zeitraum Oktober 2005 – Januar 2006 um die Erdgasimportpreise ergänzt, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sowie das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) veröffentlichen, vgl. http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/Binaer/erdgasmon,property=blob,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.xls. In einer ersten Näherung lassen sich die Veränderungen der Erdgasimportpreise als Veränderung der Kosten verwenden, wenn alle übrigen Kostenbestandteile wie z. B. Netzkosten und Vertriebskosten unverändert blieben und die konkreten Bezugskosten der betrachteten Stadtwerke nicht anderen Faktoren wie z. B. einer Ölpreisbindung unterliegen.

 

Monat

Arbeitspreis im Grundpreistarif II Allgemein
der Stadtwerke Würzburg
ohne MWSt., inkl. Erdgassteuer

Grenzübergangspreis laut BAFA
(Erdgasimportpreis)

Oktober 2005

3,75 Cent/kWh

1,79 Cent/kWh

November 2005

4,10 Cent/kWh

1,88 Cent/kWh

Dezember 2005

4,10 Cent/kWh

1,95 Cent/kWh

Januar 2006

4,60 Cent/kWh

2,01 Cent/kWh

 

Für Kunde 1, der sich seit Oktober 2005 in der Grundversorgung befindet, steht von Oktober zu November 2005 einer Kostensteigerung von 0,09 Cent/kWh eine Preissteigerung um 0,35 Cent/kWh gegenüber. D. h. die Preissteigerung ist bei Kunde 1 um 0,26 Cent/kWh zu hoch, wenn tatsächlich ein „Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung“ im Sinne des VIII. Zivilsenates existiert. Demnach wäre die Preiserhöhung zum 1.1.2005 unbillig. Ähnlich verhält es sich mit Kunde 2, der sich seit November 2005 in der Grundversorgung befindet. Kunde 2 vergleicht von November 2005 bis Januar 2006 eine Preiserhöhung um 0,50 Cent/kWh mit einer Kostensteigerung von 0,13 Cent/kWh. Auch diese Preiserhöhung wäre nach dem individuellen Äquivalenzverhältnis von Kunde 2 als unbillig zu beurteilen.

 

Tatsächlich aber haben die Stadtwerke ihren Arbeitspreis seit Januar 2005 nicht mehr verändert und konstant 3,75 Cent/kWh in Rechnung gestellt, während die Kosten von Januar – Oktober 2005 um 0,37 Cent/kWh nach dem Maßstab der Erdgasimportpreise gestiegen waren. Die Preiserhöhung zum 1.11.2005 war demnach schon lange überfällig und sehr wohl billig gegenüber den Kunden, die z. B. seit Januar 2005 als Tarifkunden Erdgas bei den Stadtwerken Würzburg bezogen, sofern der Anstieg der Bezugskosten nicht durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen kompensiert wurde. Das Äquivalenzverhältnis des Kunden 1, das laut VIII. Zivilsenat zu wahren ist, verbietet jedoch die Preisanhebung in dem Ausmaß, wie sie zum 1.11.2005 realisiert wurde.

 

Aus Sicht der Energieversorger führt das kundenindividuelle Äquivalenzverhältnis, das der VIII. Zivilsenat seiner Rechtsprechung für Tarifkunden in der Grundversorgung zu Grunde legt, offensichtlich zu unüberwindbaren Schwierigkeiten, die Preise überhaupt noch anpassen zu können. Aus Kundensicht ergibt sich das Problem, woran er erkennen soll, ob sein Äquivalenzverhältnis vom Vertragsabschluss oder das Äquivalenzverhältnis von der letzten Preisanpassung noch gewahrt ist oder nicht. Denn die Kunden kennen im Allgemeinen nicht die Entwicklung der Kosten und wissen nicht, ob der Versorger überhaupt zu einer Preiserhöhung berechtigt ist oder ob das Ausmaß der Preiserhöhung der Kostensteigerung entspricht.

 

Individuelle Preisvereinbarungen widersprechen der gesetzlichen Verpflichtung aus § 36 Abs. 1 EnWG, Allgemeine Tarife festzusetzen, die gesetzlich an den Maßstab der Billigkeit gebunden sind, und zu diesen Allgemeinen Preisen jeden Tarifkunden in der Grundversorgung einheitlich zu beliefern. Der Gesetzgeber erlaubt es den Grundversorgern nicht, mit Verbrauchern in der Grundversorgung individuelle Preisvereinbarungen zu treffen. Dieser eindeutigen gesetzlichen Vorgabe widerspricht der VIII. Zivilsenat, der den Preis vom individuellen Verhalten der Kunden abhängig machen will, und zwar vom Zeitpunkt des Vertragabschlusses und vom Widerspruch des Kunden gegen Tariferhöhungen.

 

 

4.3 Unbilligkeit bei sinkenden Gesamtkosten

Die Entwicklung in der Telekommunikationsbranche belegt, dass bei drastisch sinkenden Kosten des Anbieters ein fixer Preissockel zu extremen Unbilligkeiten führen kann. Mit der Digitalisierung der Netze und mit der Liberalisierung der TK-Märkte sanken die Kosten für Verbindungen innerhalb weniger Jahre um über 90 %. Dass einzelne Kostenpositionen speziell bei der Gas- und Stromerzeugung teurer geworden sind, schließt Kostensenkungen in anderen Bereichen und die Pflicht zur Senkung des Gesamtpreises unter den „Preissockel“ nicht aus.

 

Im Zusammenhang mit der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise ist das theoretisch klingende Szenario sinkender Gesamtkosten zur Realität geworden. In den vergangenen 12 Monaten sind die Öl- und Gaspreise tatsächlich stark gefallen. Bei der Stadtwerke Würzburg AG ist der Arbeitspreis in der Grundversorgung, Tarifvariante Komfort L, netto von 6,45 Cent/kWh am 1.11.2008 auf 4,65 Cent/kWh am 1.10.2009 gesunken, d. h. um rund 28 %. Ein Kunde, der im vorigen Herbst zum Preis von 6,45 Cent/kWh erstmals Erdgas bezogen hat oder den Preis ohne Widerspruch bei der Abrechnung akzeptiert hat, hätte nach der Preissockel-Theorie keinerlei Anrecht darauf, diese 6,45 Cent/kWh auf ihre Billigkeit nach § 315 BGB überprüfen zu lassen, da es für diesen Kunden ein angeblich vereinbarter Preissockel ist. Weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit den Zielen des § 315 BGB ist der Ausschluss einer Billigkeitsprüfung in dem skizzierten Fall vereinbar.

 

Mit seinen Entscheidungen VIII ZR 225/07 und VIII ZR 56/08 vom 15.7.2009 sieht auch der VIII. Zivilsenat des BGH die Verpflichtung des Energieversorgers, bei gefallenen Bezugskosten die Endkundenpreise zu senken. In beiden Urteilen findet sich keine künstliche Grenze für die Preissenkung in Gestalt eines Preissockels, der nicht nach unten durchbrochen werden dürfte. Auch im Falle sinkender Gesamtkosten würde sich wiederum das Problem stellen, dass gleichzeitig mehrere unterschiedliche Allgemeine Preise für ansonsten vergleichbare Kunden existieren. Zwei benachbarte Kunden mit dem identischen Grundversorger und übereinstimmenden Abnahmemengen würden unterschiedliche Entgelte zahlen, nur weil sie ihre Grundversorgungsverträge zu unterschiedlichen Zeitpunkten abgeschlossen hätten. Das Nebeneinander verschiedener Allgemeiner Preise passt überhaupt nicht zur Einheitlichkeit der Versorgungstarife, die § 36 Abs. 1 EnWG fordert.

 

Sinkende Gaspreise sind am Weltmarkt auch für die nächsten Jahre zu erwarten. In ihrem Jahresbericht „World Energy Outlook 2009“ vom 10.11.2009 hat die Internationale Energieagentur (IEA) sogar eine regelrechte Gasschwemme prognostiziert, da die Nachfrage nach Erdgas durch die Wirtschaftskrise sinkt, da durch neue Technologien im großem Umfang so genanntes unkonventionelles Erdgas aus porösem Gestein vor allem in den USA gefördert wird und da am Markt das Angebot an verflüssigtem Erdgas (Liquified Natural Gas, LNG) mit Tankschiffen drastisch angestiegen ist, vgl. Seite 15/16 in der deutschsprachigen Kurzfassung zum aktuellen „World Energy Outlook 2009“ unter http://www.worldenergyoutlook.org/docs/weo2009/WEO2009_es_german.pdf. Das prognostizierte Überangebot übt einen starken Preisdruck zumindest auf die Großhandelspreise aus und stellt auch die jahrzehntelange Ölpreisbindung von Erdgas in Frage.

 

 

4.4 Verbot einer „Preispumpe“

Die anhaltenden öffentlichen Diskussionen und speziell die zahlreichen laufenden Gerichtsprozesse beschäftigen sich mit Preiserhöhungen. Dabei wird für Sonderverträge geprüft, ob eine Klausel zu Preisänderungen wirksam in den Vertrag einbezogen wurde und ob die Klausel entsprechend den §§ 307 ff. BGB die Energieversorger überhaupt zu Tariferhöhungen berechtigt. Für Tarifkunden wird geprüft, ob die Preiserhöhungen billig im Sinne des § 315 BGB sind. Die üblichen Auseinandersetzungen mit Tarifkunden beschränken den Billigkeitsnachweis allein auf Tariferhöhungen und blenden die Verpflichtung der Energieversorger aus, entsprechend § 315 BGB bei reduzierten Kosten auch die Endkundenpreise zu senken.

 

Mit der Preissockel-Theorie des VIII. Zivilsenats am BGH lässt sich durch Ausblenden aller anderen Kostenbestandteile bei den Energieversorgern allein mit dem Nachweis gestiegener Bezugskosten vom Vorlieferanten leicht eine regelrechte „Preispumpe“ installieren, wie das folgende Gedankenexperiment illustriert:

·        2007: Der Vorlieferant berechnet dem Endkundenversorger einen Bezugspreis von 5 Cent/kWh. Ein Endkunde des Energieversorgers bezahlte bislang 6 Cent/kWh unbeanstandet.

·        2008: Der Vorlieferant berechnet dem Endkundenversorger einen Bezugspreis von 3 Cent/kWh. Der Endkunde des Energieversorgers erfährt von dieser Bezugskostensenkung nichts. Er erhält keine Preissenkung und bezahlt weiterhin 6 Cent/kWh.

·        2009: Der Vorlieferant berechnet dem Endkundenversorger einen Bezugspreis von 5 Cent/kWh. Der Vorlieferant oder gar das Gutachten eines Wirtschaftsprüfers bescheinigt dem Endkundenversorger eine Bezugskostensteigerung von 2 Cent/kWh. Der Endkundenversorger erhöht seine Preise angemessen um nur 1 Cent/kWh von 6 auf 7 Cent/kWh. Der Kunde kann nichts dagegen tun, denn er hat die 6 Cent/kWh nicht beanstandet, und die Erhöhung um 1 Cent/kWh ist ja angemessen.

·        2010: Der Vorlieferant berechnet dem Endkundenversorger einen Bezugspreis von 3 Cent/kWh. Der Endkunde des Energieversorgers erfährt von dieser Bezugskostensenkung nichts. Er erhält keine Preissenkung und bezahlt weiterhin 7 Cent/kWh.

·        2011: Der Vorlieferant berechnet dem Endkundenversorger einen Bezugspreis von 5 Cent/kWh. Der Vorlieferant bescheinigt dem Endkundenversorger eine Bezugskostensteigerung von 2 Cent/kWh. Der Endkundenversorger erhöht seine Preise angemessen um nur 1 Cent/kWh von 7 auf 8 Cent/kWh. Der Endkunde kann nichts dagegen tun, denn er hat die 6 Cent/kWh nicht beanstandet und die Erhöhungen um jeweils 1 Cent/kWh waren ja angemessen.

·        ... etc. ...

 

Aus diesen Überlegungen folgt, dass selbst dann, wenn die Auffassung des VIII. Zivilsenats des BGH zur anfänglichen Preisvereinbarung Bestand haben sollte, ein anfänglich oder nachträglich vereinbarter Preis höchstens bis zur darauf folgenden Preisanpassung verbindlich sein kann. Danach kann auf jeden Fall eine Überprüfung des Gesamtpreises verlangt werden. Tarifkunden in der Grundversorgung könnten sogar ausbleibende Preissenkungen als unbillig rügen, wenn sie vermuten, dass Kostensenkungen verheimlicht werden. Nur so kann eine missbräuchliche Preistreiberei mit der skizzierten Preispumpe verhindert werden. Im Übrigen wird auf die Verpflichtung zur Preissenkung bei gesunkenen Kosten verwiesen, die sich z. B. aus dem Urteil KZR 2/07 des Kartellsenats am BGH vom 29.04.2008 oder aus den Urteilen VIII ZR 56/08 und VIII ZR 225/07 des VIII. Zivilsenats vom 15.7.2009 ergibt, siehe ausführlich in den Abschnitten 2.2.3 und 2.3.4.

 

 


 

5. Mögliche Motive für Auslegung durch VIII. Zivilsenat

 

Die Preissockel-Theorie entstand nicht zufällig, sondern wurde vom VIII. Zivilsenat des BGH nach Kapitel 1 systematisch nach einer Strategie entwickelt. Die gesetzeswidrige Entwicklung passt weder zur übrigen Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats noch zur Rechtssprechung des Kartellsenats am BGH und anderer BGH-Senate, vgl. Kapitel 2. Die Preissockel-Theorie widerspricht dem Wortlaut und dem Zweck des § 315 BGB, wie Kapitel 3 zeigt. Die Preissockel-Theorie führt laut Kapitel 4 zu nicht auflösbaren logischen Widersprüchen und begünstigt zum Schaden der Energieverbraucher die Versorgungsunternehmen. Da die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats ohne haltbare Begründung vom eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und von der klaren Intention des Gesetzgebers abweicht, handelt das Gericht objektiv willkürlich. In diesem abschließenden Kapitel sollen mögliche Motive und Zusammenhänge aufgedeckt werden, die der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenates mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Grunde liegen.

 

 

5.1 Zeitpunkte und betroffene Branchen der strittigen Rechtsprechung

Die Preissockel-Theorie entstand von März 2007 bis November 2008 am VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes. Rein zeitlich fällt auf, dass das nach dem Wechsel im Vorsitz dieses Senats geschah. Mit Ablauf des 30.6.2006 trat Dr. Katharina Deppert, geboren am 20.6.1941, in den Ruhestand, nachdem sie von 1996 bis 2006 den Vorsitz des VIII. Zivilsenats innehatte. Seit 1.8.2006 ist Wolfgang Ball, Jahrgang 1948, Vorsitzender Richter des VIII. Zivilsenats.

 

Die Preissockel-Theorie wurde meines Wissens nach bislang nur auf Energiepreise angewandt und nicht auf andere Branchen übertragen. Z. B. konnte sich der VIII. Zivilsenat selbst unter Vorsitz von Richter Ball nicht dazu durchringen, die wesentlichen Elemente der Preissockel-Theorie auch bei anderen Kaufverträgen zu benutzen, vgl. Urteil VIII ZR 265/07 vom 11.11.2008 zur Autoreparatur und dessen Kommentierung in Kapitel 2.1.5. In den Entscheidungen anderer BGH-Senate, in denen Wolfgang Ball zwar als Richter beteiligt war, aber nicht den Vorsitz innehatte, kam die Preissockel-Theorie bislang auch nicht zum Einsatz.

 

 

5.2 Vortragstätigkeit von Wolfgang Ball

Am 22.10.2007 berichtete das Nachrichtenmaganzin „DER SPIEGEL“ in seiner Ausgabe 43/2007 über „Energiepreise – Zeuge der Angeklagten“ über die seltsame Nebenbeschäftigung von Wolfgang Ball. Ball, der Vorsitzende Richters am VIII. Zivilsenat des BGH, erklärt der Energiebranche auf teuren Seminaren, was bei Tariferhöhungen beachtet werden muss. In dem Spiegel-Artikel heißt es:

Die Argumente des Gerichts präsentierte Wolfgang Ball vor wenigen Wochen noch einmal ‘leitenden Mitarbeitern’ der Energieversorger. Für ein Honorar im "üblichen Rahmen", so Ball. Gleich nach dem Urteil war der Seminarveranstalter Euroforum an Ball herangetreten. Zusammen mit der Düsseldorfer Kanzlei Clifford Chance warb er mit Balls Foto und unter dem Motto: ‘Gute Chancen für Gasversorger bei Gaspreiserhöhungen!’ Für einen Beitrag von 1605 Euro lernten die Teilnehmer ‘die gerichtsfeste Ausgestaltung von Preisänderungsklauseln’ und ‘den Umgang mit Widerspruchskunden’.

Ball war der Stargast, eine Art Zeuge der Angeklagten. Mit seiner Urteilsbegründung war er den Argumenten gefolgt, die die Energieriesen seit Jahren lancieren. Mit Hilfe von Großkanzleien wie Freshfields Bruckhaus Deringer und Clifford Chance pflanzten sich diese Argumente in Gutachten und Aufsätzen als vermeintlich herrschende Meinung fort.

Ob er so einen Auftritt nicht bedenklich finde? Eine Befangenheit, lässt Wolfgang Ball ausrichten, könne er bei der Sache nicht erkennen. Beschränkungen für Auftritte von Bundesrichtern bei Veranstaltungen seien ihm nicht bekannt, so Ball, solche Auftritte seien zudem ‘nicht ungewöhnlich’ ”.

 

Etwa einen Monat später, am 26.11.2007, berichtet der Spiegel unter „Richter-Nebenjobs: Im Fokus der Lobbyisten“, dass sich der BGH-Präsident Günter Hirsch um den Eindruck einseitiger Nebentätigkeiten der Richter sorgt. „Aufgrund des SPIEGEL-Artikels habe der BGH-Präsident Günter Hirsch die BGH-Richter gebeten, in nächster Zeit zum Fragenkomplex des Paragraf 315 BGB keine Vorträge zu halten.” Weiter heißt es in dem Spiegel-Artikel: “In letzter Zeit scheinen die lukrativen Feierabendjobs von Deutschlands obersten Richtern etwas aus dem Ruder zu laufen. Hatten von den rund 500 Bundesrichtern (ohne das Bundesverfassungsgericht) vor elf Jahren nur etwa 15 Prozent Nebeneinkünfte, so wird heute ‘fast jeder BGH-Richter eine Nebentätigkeit ausüben’, schätzt Lothar Jünemann, Geschäftsführer des Deutschen Richterbundes.”

 

 

 

Quellen

 

1: Dreher, Meinrad: „Die richterliche Billigkeitsprüfung gemäß § 315 BGB bei einseitigen Preiserhöhungen aufgrund von Preisanpassungsklauseln in der Energiewirtschaft“, Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER), Heft 2/2007, Seite 103 – 114, im Internet abrufbar unter http://www.energieverbraucher.de/files_db/dl_mg_1186852461.pdf

2: Fricke, Thomas: Kommentar zu „BGH , Urt. v. 28.03.2007 - VIII ZR 144/06“ im Forum des Bundes der Energieverbraucher, 01.05.2007 12:04 Uhr, Thread „BGH , Urt. v. 28.03.2007 - VIII ZR 144/06“ unter http://forum.energienetz.de/thread.php?threadid=6241

3: Fricke, Thomas: Kommentar zu „Büdenbender NJW 2007, 2945“ im Forum des Bundes der Energieverbraucher, 17.11.2007 00:58 Uhr, Thread „Neue Aufsätze zu §§ 307, 315 BGB bei Energiepreisen !!“ unter http://forum.energienetz.de/thread.php?threadid=2994

4: Klawitter, Nils: „Energiepreise – Zeuge der Angeklagten“, Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ Heft 43/2007 vom 22.10.2007, Seite 102, online verfügbar unter http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?titel=Zeuge+der+Angeklagten&id=53364531

5: Klawitter, Nils: „Richter-Nebenjobs: Im Fokus der Lobbyisten“, Nachrichtenmagazin „SPIEGEL ONLINE“ vom 26.11.2007, verfügbar unter http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?titel=Zeuge+der+Angeklagten&id=53364531, Kurzfassung in der Printausgabe „DER SPIEGEL“ Heft 48/2007 vom 26.11.2007, Seite 69 unter dem Titel „Nebenjobs: BGH-Chef warnt“

6: Markert, Kurt: Anmerkungen zum BGH-Urteil VIII ZR 144/06 vom 28.3.2007 über Strompreise, Zeitschrift Recht der Energiewirtschaft (RdE), Heft 6/2007, Seite 161 – 163

7: Markert, Kurt: Anmerkungen zum BGH-Urteil VIII ZR 138/07 vom 19.11.2008 zur Billigkeitskontrolle von Gaspreisen, Zeitschrift Recht der Energiewirtschaft (RdE), Heft 2/2009, Seite 61 – 63

8: Schwintowski, Hans-Peter: „Die Frage der Anwendbarkeit der §§ 315, 316 BGB auf die Bestimmung von Netznutzungsentgelten“, Rechtsgutachten vom 4.3.2005, im Internet kostenlos abrufbar unter http://www.neue-energieanbieter.de/data/uploads/05_03_04_LichtBlick-Gutachten%20von%20
Prof%20Schwintowski%20Anwendbarkeit%20%A7%20315%20BGB.pdf