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Der
weisungsgebundene Staatsanwalt
geschichtlicher Hintergrund Strafen
sind so alt, wie die Menschheit selber. Schon immer haben es die
Menschen
verstanden, ihre Mitmenschen zu
bestrafen. Die Existenz eines Staatsanwaltes ist jedoch jüngeren
Datums. Über
viele Jahrhunderte hindurch wurde der Strafprozess vom
Inquisitionsgrundsatz
beherrscht. Der Strafrichter führte die Untersuchungen selber,
erhob Anklage
und fällte gleichzeitig auch das Urteil. Erstmals in der
Französischen
Revolution setzte sich der Gedanke durch, dass ein Richter, der einen
Tatverdächtigen ermittelte, nicht unbefangen über die Frage
entscheiden konnte,
ob der von ihm Verdächtigte auch tatsächlich der Schuldige
war. Es wurde
deshalb eine vom Gericht unabhängige Einrichtung geschaffen, die
die
Untersuchungen eines Kriminalfalles führte und die Anklage erhob.
Dies war die
Geburtsstunde des Staatsanwaltes. Der
Gedanke der Französischen Revolution schwappte nach Deutschland
über. Die
Demokratisierungsbestrebungen des Jahres 1848 machten auch vor dem
Strafprozess
nicht halt. Forderungen nach einer Öffentlichkeit des
Strafverfahrens, nach
Beteiligung von Laienrichtern und nach einer Mitwirkung eines
Staatsanwaltes
ließen sich nicht mehr zurückdrängen. Die Stellung des
Staatsanwaltes im Strafprozess,
die uns heute selbstverständlich erscheint, ist das Ergebnis
blutiger
Auseinandersetzungen in den Freiheitskriegen, für die viele
Kämpfer für eine
bessere Demokratie ihr Leben ließen. Heute
ist der Staatsanwalt aus dem Strafverfahren nicht mehr wegzudenken. Er
steht am
Anfang und am Ende eines jeden Strafverfahrens. Jedes Strafverfahren
beginnt
mit dem Ermittlungsverfahren und darin kommt dem Staatsanwalt eine
überragende
Stellung zu. Nach § 160 StPO entscheidet er bei Verdacht einer
Straftat darüber,
wie der Sachverhalt zu erforschen ist, er entscheidet darüber, ob
öffentliche
Anklage erhoben wird oder ob die Ermittlungen eingestellt werden, ihm
allein
obliegt das Anklagemonopol. In der Hauptverhandlung vertritt er die
Anklage,
wirkt durch eine Fülle von Einzelmaßnahmen auf den Ablauf
der
Gerichtsverhandlung und damit auf die Urteilsfindung ein und im Falle
einer
Verurteilung obliegt dem Staatsanwalt die Strafvollstreckung (§
451 StPO). Im
Ermittlungsverfahren kann er sich der Mithilfe des gesamten
Polizeiapparates
und aller anderen Behörden bedienen, wobei die Polizei nicht nur –
wie jede
andere Behörde - Amtshilfe zu leisten hat, zahlreiche
Polizeibeamten sind auch
als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft seinen direkten Weisungen
unterworfen
und dürfen in dieser Eigenschaft Straftaten selbsttätig
untersuchen (§§ 161,
163 StPO). Bei
einem mit solcher Machtfülle ausgestatteten Staatsanwalt stellt
sich die Frage
seiner Bindung oder Unabhängigkeit.
Der
Blick auf die Historie und die Gründe, die zur Schaffung der
Staatsanwaltschaften geführt haben, zwingt zu dem Schluss, dass
der
Staatsanwalt gegenüber dem Gericht unabhängig sein muss. Wenn
der Sinn und
Zweck der Einführung der Staatsanwaltschaft darin bestand, dem
Richter die
Ermittlungen aus der Hand zu nehmen, damit er letztlich unparteilicher
entscheiden kann, dann kann der Staatsanwalt nicht den Weisungen des
Gerichtes
unterliegen. Wäre das anders, könnte der Richter gleich
wieder selber die
Ermittlungen übernehmen und man bräuchte den Staatsanwalt
nicht. Das ist gerade
nicht gewollt. Damit beantwortet sich die berühmte Frage, die auf
jeden
Jurastudenten einmal zukommt, In der
Hauptverhandlung lehnt der Verteidiger den Staatsanwalt als befangen
ab. Wer
entscheidet über den Befangenheitsantrag?
wie
von selbst: Natürlich nicht das Gericht, denn das ist
gegenüber dem
Staatsanwalt nicht weisungsberechtigt.
Unabhängigkeit
gegenüber dem Staat Das
Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) bringt es an den Tag. In § 141 GVG
heißt es
schlicht: Bei jedem Gericht soll eine Staatsanwaltschaft
bestehen. Eine
Staatsanwaltschaft ist eine Behörde und der Staatsanwalt ist nur
ein Mitglied
dieser Behörde. In den folgenden Normen spricht das GVG dann auch
folgerichtig von
den Beamten
der Staatsanwaltschaft. Beamte sind – wie wir alle wissen –
weisungsgebunden. § 146 GVG hebt das noch einmal ausdrücklich
hervor, in dem es
heißt, Die Beamten
der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres
Vorgesetzten
nachzukommen.
Damit
tritt der Staatsanwalt – wenn man es überspitzt ausdrücken
will - nicht einmal
als eigenständiges Subjekt auf, er ist lediglich Vertreter seines
Chefs und wie
alle Vertreter ist er an die Weisungen des Vertretenen gebunden. Und
Chefs hat
der Staatsanwalt viele: der einfache Dezernent hat als unmittelbaren
Vorgesetzen einen Abteilungsleiter – meist einen Oberstaatsanwalt –,
Oberstaatsanwalt
und Staatsanwalt haben als Chef einen Behördenleiter – mit dem
Titel Leitender
Oberstaatsanwalt -, der Behördenleiter ist den Weisungen des
Generalstaatsanwaltes unterworfen und letztlich steht in der Hierarchie
ganz
oben der Justizminister. Er kann in jedem Einzelfall in die Arbeit des
Staatsanwaltes eingreifen und dass er das tut belegen die aktuellen
Ereignisse
in Mönchengladbach. Hier hat die Justizministerin des Landes
Nordrhein-Westfalen den Leiter der
Staatsanwalt
Mönchengladbach vorübergehend aus seinem Amt abberufen und an
das Ministerium
versetzt.
Die
richtige Antwort des Jurastudenten auf die o. gestellte Frage nach der
Entscheidungsbefugnis über den Befangenheitsantrag muss somit
lauten: der Leitende
Oberstaatsanwalt.
Es
gibt vereinzelte Durchbrechungen der vorangestellten Machtbefugnisse
des
Staatsanwaltes. So wird das o. a. Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft
durchbrochen bei den Privatklagedelikten des § 374 StPO. Bei den
dort
aufgeführten Delikten mit zumeist kleinerem Unwertgehalt kann auch
der
Verletzte selber ohne Einschaltung der Staatsanwaltschaft die Klage
erheben.
Die Staatsanwaltschaft kann aber – wenn sie will – die Sache jederzeit
übernehmen (§ 377 StPO). Große Bedeutung haben die
Privatklagedelikte in der
Praxis nicht. Will
der Staatsanwalt außerhalb des Anwendungsbereiches der
Privatklagedelikte keine
Anklage erheben, hat der Verletzte die Möglichkeit, die
Staatsanwaltschaft zur
Anklage zu zwingen. Er kann dann im sog. Klageerzwingungsverfahren
(§§ 172 ff
StPO) das Gericht anrufen, das dann die Staatsanwaltschaft zur
Anklageerhebung
verpflichten kann. Die formellen Anforderungen für ein
Klageerzwingungsverfahren sind hoch und ich rate jedem davon ab, diesen
Weg zu
gehen, es sei denn, er hat fundamentale Kenntnisse im
Strafprozessrecht. Hat
die Staatsanwaltschaft einmal Anklage erhoben, kann sich der Verletzte
in den
in § 395 StPO genannten Fällen der öffentlichen Anklage
als sog. Nebenkläger
anschließen und damit selber Einfluss auf den Gang der
Hauptverhandlung nehmen. Diese
Ausnahmen ändern aber nichts an der überragenden Bedeutung
des Staatsanwaltes
im Strafverfahren.
Ich
sehe die fehlende Unabhängigkeit des Staatsanwaltes von
staatlichen Weisungen
als sehr problematisch an. Mit guten Gründen sollen Richter nach
unserem
Grundgesetz unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sein (Art.
97 GG). Für
den Staatsanwalt mit seiner dominierenden Rolle im Strafverfahren
sollte nichts
anderes gelten. Zu Recht fordern daher der Deutsche Richterbund und die
Neue
Richtervereinigung seit langem, dass auch die Staatsanwälte
endlich diese
Unabhängigkeit erhalten. Bislang sind die Politiker diesen
Forderungen nicht
nachgekommen. Gründe führen sie dafür nicht ins Feld.
Man hat den Eindruck,
dass die Politiker nur einen Abbau ihrer Macht fürchten und
deshalb keine
Veränderungen wollen. Geht man zurück auf die historischen
Gründe, die
seinerzeit zur Schaffung der Staatsanwaltschaften geführt haben,
muss man
feststellen, dass der Einfluss des Staates auf den Strafprozess
über die Staatsanwaltschaft
zugenommen hat. Das ist nun das Ergebnis der Revolution des Jahres
1848! Meines
Wissens sind die Bürger seinerzeit auf die Straße gegangen,
um die Allmacht des
Staates zu begrenzen und mehr demokratische Freiheiten zu erreichen.
Mit den
vom Staat gelenkten Staatsanwaltschaften ist das Gegenteil erreicht
worden.
*Norbert Schlepp ist Richter am Finanzgericht Niedersachsen |
Anders als die herrschende
Juristenmeinung glauben machen will, waren die Staatsanwälte von
Anfang
an ein Instrument der Regierenden, die früher wie heute damit ihre
Machtinteressen durchsetzen wollen. Das ist das Ergebnis der
Forschungen von Dr. Peter Collin in dem Artikel "Die Geburt der
Staatsanwaltschaft in Preußen" vom März 2001 im Forum
historiae iuris,
siehe http://s6.rewi.hu-berlin.de/online/fhi/articles/0103collin.htm.
Daraus entnommen ist das folgende Zitat: Die Staatsanwaltschaft war also weder ein "Kind der Revolution" noch ist ihre Einführung auf liberal-rechtsstaatliches Gedankengut zurückzuführen. Nahezu unbeeindruckt von der in der Literatur stattfindenden Reformdiskussion entwarf die Ministerialbürokratie eine Staatsanwaltschaft, die den Bedürfnissen der Regierung entsprach. Ihr ging es in erster Linie darum, eine Behörde zu schaffen, die ein Gegengewicht zu den als politisch unzuverlässig verdächtigten Gerichten darstellte, deren Tätigkeit initiierte, kontrollierte und wenn nötig korrigierte. Auf diese Weise, so hoffte man, könnten politische Zwecksetzungen im Strafverfahren ihre Berücksichtigung finden. Hinter dem "Wächter des Gesetzes" verbarg sich das "Organ der Staatsregierung". |